Annaud zu „Der letzte Wolf“: Pferdeattrappen mit Wurstduft
München (APA/dpa) - Erst „Der Bär“, dann der Tigerfilm „Zwei Brüder“ und nun „Der letzte Wolf“: Jean-Jacques Annaud hat erneut mit wilden Ti...
München (APA/dpa) - Erst „Der Bär“, dann der Tigerfilm „Zwei Brüder“ und nun „Der letzte Wolf“: Jean-Jacques Annaud hat erneut mit wilden Tieren gedreht. Sein neuer Film spielt in der Inneren Mongolei, einer autonomen Region Chinas. Auf Befehl der Behörden soll dort ein angeblich gefährliches Wolfsrudel getötet werden - gegen den Willen der Nomaden, die seit Jahrtausenden mit den Tieren im Einklang leben.
Der Eingriff in das sensible Gleichgewicht der Natur beschwört eine Katastrophe herauf. Sechs Jahre war der Franzose Annaudmit dem Film, der am Freitag in unseren Kinos startet, beschäftigt. Es sei eines seiner anstrengendsten, aber auch bereicherndsten Projekte gewesen, sagte der 72-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur dpa in München.
Frage: Ihr Film basiert auf dem Roman „Der Zorn der Wölfe“, eines der meistverkauften chinesischen Bücher. Wie kam es, dass gerade Sie als Franzose mit der Regie betraut wurden? Vor allem, nachdem gegen Sie nach „Sieben Jahre in Tibet“ ein Einreiseverbot verhängt worden war.
Antwort: Man hat mir gesagt: Für chinesische Filmemacher ist es fast unmöglich, diesen Film zu drehen. Es ist politisch schwierig, es würde wahrscheinlich nicht durch die Zensur kommen. Sie sagten mir: Du bist neutral. Wir wissen, dass du China liebst. Wir haben deinen Film „Der Liebhaber“ gesehen, der in China sehr populär ist. Sie hatten sich zwar über meinen Film „Sieben Jahre in Tibet“ geärgert, aber sie haben verstanden, dass ich ein Herz für Minderheiten habe. Sie sagten: Wir haben ein Problem mit der Umwelt und wir glauben, du bist der Richtige, um das auch auszusprechen. Also fühle dich frei. Das kam für mich sehr unerwartet. Was ich über China wusste, hatte ich mir in den Medien angelesen. Als ich da war, habe ich dort etwas ganz anderes entdeckt.
Frage: Spielte das Einreiseverbot keine Rolle?
Antwort: Das ist komplex. Die Regierung hat mir über die Jahre hinweg vertraut. Es ist klar, dass ich China gegenüber sehr positiv eingestellt bin, obwohl ich den Film „Sieben Jahre in Tibet“ gedreht habe, in dem ich ziemlich streng war. Aber ich respektiere das chinesische Minderheitenproblem, die Komplexität des Ganzen. Und ich war sehr erfreut, dass ich eine ganz andere Seite von China kennenlernen durfte als die, die ich bisher aus den Medien kannte.
Frage: Hier liest man vor allem von der Umweltverschmutzung in China, von Landstrichen ohne Insekten, von Smog. Die Natur in ihrem Film dagegen ist wunderschön, üppig, bunt, voller Tiere. War das die Entdeckung, von der Sie gerade gesprochen haben?
Antwort: Auf jeden Fall. Ich habe ein Land kennengelernt, in dem die Natur über weite Strecken völlig unberührt ist. Natürlich besteht die Gefahr, dass die Industrialisierung überhandnimmt, dass es zu viele Straßen und Gebäude gibt. Aber China verändert sich. Die Menschen wissen, dass sie so nicht weitermachen können, weil sie an manchen Orten nicht mehr richtig atmen können. Es geht also nicht mehr um richtig oder falsch, es geht ums Überleben. Das funktioniert nur, wenn alle verstehen, dass sich viel ändern muss, um etwa die Qualität des Wassers zu bewahren, auch in den Flüssen. Oder die Luftqualität. Es ist toll, alles herzustellen, was in der Welt konsumiert wird. Dennoch muss man seine eigene Bevölkerung schützen.
Frage: Wovor beschützen?
Antwort: Die Leute ersticken, nicht nur in den Städten. Auch in kleinen Dörfern gibt es Kraftwerke, die immer noch Kohle verwenden. Rund um das Dorf entstehen riesige Staubwolken. Und es gibt Fabriken, die giftige Stoffe herstellen. Das ist schlecht für die Kinder oder für Schwangere. Das ist für viele Chinesen nun ein wichtiger Gedanke, aber auch für Politiker, weil sie alle dasselbe Problem haben.
Frage: Wo haben Sie diese wunderschöne Landschaft in Ihrem Film gefunden?
Antwort: Der Film wurde vollständig in der Inneren Mongolei gedreht, im Norden Chinas. Es ist eine riesige Provinz, mehrere Male so groß wie Deutschland. In der Region, in der ich gedreht habe, musste ich fünf Stunden fahren, um zum nächsten Flughafen zu kommen, 400 Kilometer weit weg. Auf dem Weg gab es nur ein einziges Dorf mit 2.000 Einwohnern, in der ganzen Gegend wohnten insgesamt nur 20.000 Leute. Wenn man sich überlegt, dass es in ganz China 1,5 Milliarden Menschen leben. So eine riesige Region - stellen Sie sich Deutschland vor mit nur einem Flughafen! Das ist unvorstellbar. Alle fünf oder zehn Kilometer gibt es ein kleines Haus. Das ist eine grüne Wüste.
Frage: Und dazwischen viele bunte Blumen.
Antwort: Ja, sehr viele Blumen. Von Juni bis August läuft man über Edelweiß, so viel Edelweiß, es ist unglaublich. Und Pfingstrosen in vielen Farben, sie wachsen dort wild, und Iris. Das erstreckt sich, soweit das Auge reicht. Es ist sehr windig und kalt. An manchen Tagen hatten wir minus 35 Grad und starken Wind mit 70 Stundenkilometer. Aber gleichzeitig war es so entspannend, so friedlich.
Frage: Was hat diese wunderschöne Landschaft beigetragen?
Antwort: Die Schönheit der Natur spielt in dem Film eine eigene Rolle. Es gibt die Reinheit der Wolfsaugen, es gibt das traditionelle Leben der Mongolen. Darum geht es auch im Film: Man muss dieses Land beschützen. Es gibt diesen Instinkt, Schönheit zu schützen. Etwas Schönes hat größere Chancen, bewahrt zu werden, als etwas unansehnliches.
Frage: Wie war es, mit den Wölfen zu drehen? Die Tiere wirkten manchmal sehr aufgeregt. Haben Sie da Effekte eingesetzt?
Antwort: Nein. Wir haben real gedreht, aber wir haben Vorsichtsmaßnahmen getroffen, damit die Tiere sich nicht gegenseitig töteten. Wir haben die Wölfe als Babys geholt und versucht, ihnen das drei Jahre lang zu vermitteln. Wir haben den Wölfen beigebracht, neben den Pferden zu laufen. Das war sehr gefährlich. Die Wölfe wollten die Pferde anspringen und die Pferde wollten die Wölfe treten. Der Trick war, zwischen den Tieren einen ganz dünnen Zaun zu errichten, in Blau. Wir konnten also die Wucht der Gefühle mit der Kamera einfangen und später den blauen Zaun in der Postproduktion entfernen. Ich habe die Wut der Wölfe eingefangen und die Angst der Pferde. Das ist echt. Das ist nicht gespielt.
Frage: Aber es gibt Szenen, in denen sich die Tiere tatsächlich angreifen. Wie haben Sie das gemacht?
Antwort: Wir haben Attrappen verwendet. Wenn zum Beispiel ein Wolf nach einer Pferdemähne schnappt, ist es eine echte Mähne, aber von einem falschen Pferd. Die Mähne wurde mit Wurstgeruch eingesprüht. Unter der falschen Haut haben wir ein kleines Steak versteckt. Wir haben das dem Wolf hingehalten und es ihm dann wieder weggenommen. Der Wolf tobte.
ZUR PERSON: Jean-Jacques Annaud (72) zählt zu den großen Regisseuren des französischen Kinos. Einen Namen machte er sich etwa mit der Romanverfilmung „Der Name der Rose“ von Umberto Eco. Berühmt auch seine Tierfilme „Der Bär“ oder „Zwei Brüder“, für den er mit Tigern drehte. Kontroversen gab es um den Film „Sieben Jahre in Tibet“, der die 1939 fehlgeschlagene Himalaya-Expedition des Österreichers Heinrich Harrer nachzeichnet, der später seine Mitgliedschaft in der NSDAP und der SS zugab. China verhängte wegen des Films ein Einreiseverbot.
(Das Gespräch führte Cordula Dieckmann/dpa)