53. Viennale - Amos Gitai: „Ich kann auf die Apokalypse verzichten“

Wien (APA) - Bei der Viennale 2015 ist der 65-jährige Filmemacher Amos Gitai mit seinem neuen Werk, „Rabin, the Last Day“ vertreten, in dem ...

Wien (APA) - Bei der Viennale 2015 ist der 65-jährige Filmemacher Amos Gitai mit seinem neuen Werk, „Rabin, the Last Day“ vertreten, in dem er die Hintergründe der Ermordung des damaligen israelischen Ministerpräsidenten beleuchtet (Sonntag, 10 Uhr, Gartenbau). Die APA sprach aus diesem Anlass mit dem Regisseur über Verschwörungstheorien, den Weg zum Frieden und die Bedeutung der politischen Figur Rabin.

APA: Was war ihr Ausgangspunkt bei „Rabin, the Last Day“: Das Interesse eines Filmemachers an einem Thema oder der Wille des israelischen Staatsbürgers, sich an der politischen Debatte seines Landes zu beteiligen?

Amos Gitai: Beides wahrscheinlich. Das Kino bewegt sich bisweilen zu weit weg von dem, was die einfachen Bürger betrifft und interessiert. Im Endeffekt sage ich als Bürger Amos dem Filmemacher Gitai, sich eines bestimmten Themas anzunehmen (lacht).

APA: Ihr Hauptquelle sind die Protokolle der Schamgar-Kommission, die die Umstände der Ermordung von Jitzchak Rabin untersuchen sollte. Wie sind Sie an diese Unterlagen gekommen?

Gitai: Bis dato waren nur die Schlussfolgerungen der Kommission veröffentlicht, nicht aber die Protokolle. Ich bin dann persönlich zu Meir Schamgar, dem einstigen Präsidenten des Obersten Gerichts, gegangen und habe ihn überzeugt, mir Zugang zu gewähren.

APA: Wie sehr hatten Sie den Anspruch eines Historikers auf Quellentreue, und wie viel Freiheit haben Sie sich als Regisseur genommen?

Gitai: Es ist ein politisches Werk, weshalb ich es für wichtig hielt, so faktengenau wie möglich zu bleiben. Das bedeutet, dass jede einzelne Szene auf konkreten Dokumenten basiert.

APA: Sie inkludieren in Ihren Film auch Archivmaterial und Interviews. Geht es hier um den Eindruck von Authentizität?

Gitai: Ich habe mich entschieden, Rabin und die anderen politischen Führungsfiguren nicht von Schauspielern spielen zu lassen, um Kitsch zu vermeiden. Sie besitzen in den historischen Aufnahmen eine derart große Authentizität - warum sollte ich versuchen, das zu imitieren?

APA: Zugleich fokussieren Sie sich in den Spielszenen ausschließlich auf das rechte Lager in Israel um die Zeit der Ermordung - die Pro-Friedensseite, auf der Ihren Sympathien klar liegen, kommt nicht vor. Weshalb diese Beschränkung?

Gitai: Ich muss ja auch anderen Regisseuren noch ein bisschen Arbeit übrig lassen (lacht).

APA: Was ebenfalls nicht präsent ist im Film, sind die Verschwörungstheorien um die Rabin-Ermordung...

Gitai: In muss nach zwei Jahren intensiver Recherche sagen: In meinen Augen gab es keine Verschwörung. Bei Rabin gab es anders als bei Kennedy bereits im Vorfeld des Attentats einen Haufen an Warnungen und Hinweisen: Die hysterischen Demonstrationen, die politischen Aufrufe zur Gewalt, die „Pulsa dinura“ der Rabbis (ein von jüdischen Extremisten ausgesprochener Todesfluch, Anm.). Wenn es eine Verschwörung gibt, findet die im Geheimen statt, hier war alles öffentlich. Hinzu kommt, dass alle Verschwörungstheorien aus dem rechten Lager kommen, um die Siedler, die hetzenden Politiker und die extremistischen Rabbis als unschuldig darzustellen.

APA: Weshalb ist der Friedensprozess mit der Ermordung Rabins praktisch zusammengebrochen? Hatte die Bewegung aus sich heraus nicht genügend Substanz?

Gitai: Die Ermordung Rabins hatte verheerende Auswirkungen auf Israel. Er war für einen guten Teil der Israelis jemand, dem man vertrauen konnte und dem man deshalb folgte. Manchmal ist es so einfach. Entgegen der marxistischen These, dass es nie auf das Individuum ankommt, hängt es in meinen Augen bisweilen eben doch von nur einem Menschen ab. Und wenn man eine herausragende politische Führungsfigur verliert, kann das desaströs sein.

APA: Haben Sie persönlich eine Vision von der Zukunft Israels und des Nahostkonflikts?

Gitai: Natürlich kann man nicht sagen, ob das Oslo-II-Abkommen einen dauerhaften Frieden gebracht hätte, aber es hätte einen Prozess gestartet. Es geht um Dialog und Kommunikation, und dass dieser Kanal derzeit unterbrochen ist, ist extrem gefährlich. Es gibt auf beiden Seiten Kräfte, die wollen die Apokalypse. Ich kann auf die Apokalypse verzichten. Deshalb muss wieder verhandelt werden. Wir leben aber in einem sehr unilateralen Zeitalter. Die meisten Politiker richten ihre Agenda nach den morgendlichen Umfragen und haben keine eigene politische Linie, die sie verfolgen. Das wird sich irgendwann wieder ändern - die Frage ist nur, wie viele Opfer es bis dahin kostet.

APA: Sie haben in Ihrer Karriere bisher schon öfters Trilogien zu einem bestimmten Thema gemacht. Wird „Rabin, the Last Day“ der Auftakt zu einer neuen sein?

Gitai: Ich hoffe, dass niemand mehr einem Attentat zum Opfer fällt. Insofern bleibt das ein Einzelwerk (lacht).

(ZUR PERSON: Geboren am 11. Oktober 1950 in Haifa, zählt Amos Gitai heute den prominentesten israelischen Filmemachern. Als Sohn des einstigen Bauhaus-Architekten Munio Gitai Weinraub studierte er selbst zunächst Architektur, wandte sich dann aber dem Film zu. Mittlerweile hat Gitai über 40 Filme veröffentlicht, darunter „Promised Land“ mit Hanna Schygulla und Rosamund Pike, „Free Zone“ mit Natalie Portman oder „Desengagement“ mit Juliette Binoche und Jeanne Moreau.)

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)