Reiseveranstalter in Jerusalem beten inständig für Ruhe
Jerusalem (APA/AFP) - In guten Jahren sind die Rundgänge, die Vittorio De Cesare zu den heiligen Stätten in Jerusalem anbietet, für November...
Jerusalem (APA/AFP) - In guten Jahren sind die Rundgänge, die Vittorio De Cesare zu den heiligen Stätten in Jerusalem anbietet, für November und Dezember frühzeitig ausgebucht. Diesmal ist sein Terminkalender leer. Die anhaltenden Unruhen in Israel und den besetzten Palästinensergebieten beeinträchtigen den Fremdenverkehr zunehmend - vor allem in Jerusalem.
Die nahende Weihnachtssaison vor Augen, wenn die Pilger sich gewöhnlich durch die Via Dolorosa in der Altstadt drängeln und ins benachbarte Bethlehem zur Geburtskirche Jesu strömen, beten die Reiseveranstalter inständig, dass bald Ruhe einkehren möge.
Eine Serie von Anschlägen durch Palästinenser, vor allem mit Stichwaffen, aber vereinzelt auch Pistolen und Autos, sowie heftige Zusammenstöße zwischen Jugendlichen und israelischen Sicherheitskräften lassen inzwischen viele einen anhaltenden Aufstand befürchten. Acht Israelis wurden seit Monatsbeginn bei den Attacken getötet, rund 25 der Angreifer erschossen. Etwa die gleiche Zahl von Palästinensern starb bei gewaltsamen Protesten.
Kollateralschäden drohen nun auch der Tourismusindustrie, die jährlich 4,5 Milliarden Euro umsetzt und sechs Prozent der israelischen Erwerbstätigen beschäftigt. Dabei ging es in den vergangenen Monaten gerade wieder bergauf, nach dem Einbruch durch den Gaza-Krieg im Sommer 2014. „Fast ein Jahr lang hatten wir weniger ausländische Besucher und waren im Sommer froh, dass die Touristenzahlen wieder stiegen“, sagt Cesare, für den der mildere Oktober in normalen Jahren immer Rekordeinnahmen brachte.
In Jerusalem, wo die meisten Anschläge stattfanden, ist das zusätzliche Ausbleiben auch der inländischen Touristen besonders spürbar. Im Mahane Yehuda, dem umtriebigen Zentralmarkt in Westjerusalem, klagen manche Händler über 80 Prozent Umsatzeinbruch. Und auf dem Kreuzweg durch das muslimische und das christliche Viertel in der Ost-Jerusalemer Altstadt beherrschen schwerbewaffnete Wachleute das Bild.
Immerhin kommen noch Touristen. Der deutsche Veranstalter Biblische Reisen, der jährlich rund hundert Studien- und Gruppenreisen ins Heilige Land anbietet, berichtet, er werde mit besorgten Anfragen der Kunden zur Sicherheitslage überschüttet - Stornierungen gebe es aber nur wenige.
Allerdings passt dieser Veranstalter das Reiseprogramm immer wieder an die Lage an und ändert kurzfristig die Routen. Zwei andere deutsche Reiseanbieter haben dagegen die Angebote für Israel und die Palästinensergebiete vorsorglich bis Ende Oktober aus dem Programm genommen.
Infolge des Gaza-Kriegs entgingen der israelischen Beherbergungsbranche 2014 rund 230 Millionen Euro an Umsätzen, wie der Hotelverband Israels (IHA) schätzt. Es sei noch zu früh, die Auswirkung der aktuellen Spannungen zu beziffern, sagt Amir Halevi, Generaldirektor des Tourismus-Ministeriums. „Noch kommen die Touristen. Sie ändern aber zum Teil ihre Pläne und gehen eher an die Küste als nach Jerusalem, wofür wir Verständnis haben müssen.“
IHA-Sprecherin Pnina Shalev räumt ein, dass vor allem für die kommenden Monate schlimme Befürchtungen bestehen, sollte sich die Lage nicht beruhigen: „Oktober und November scheinen noch okay, was die Zimmerbuchungen angeht. Aber die Aussichten für Dezember bis Februar sind düster.“
Auch die gesamte Volkswirtschaft könnte erheblich leiden. Während der 2000 einsetzenden Zweiten Intifada sank das Bruttosozialprodukt vier Jahre in Folge um je sieben Prozent, wie Assaf Rasin, Wirtschaftsprofessor in Tel Aviv, berichtet. Auch diesmal würde ein allgemeiner Palästinenseraufstand sich wirtschaftlich nachteilig auf alle Israelis auswirken: „Die Ausgaben für die Sicherheit werden anschwellen auf Kosten von Sozialleistungen und Bildung.“ Auch drohen geringere Direktinvestitionen aus dem Ausland und die „Abwanderung unserer hellsten Köpfe“, warnt Rasin.