Flucht im Paradies - Migranten suchen Europa im Indischen Ozean
~ --------------------------------------------------------------------- KORREKTUR-HINWEIS In APA067 vom 25.10.2015 muss es im Untertitel sow...
~ --------------------------------------------------------------------- KORREKTUR-HINWEIS In APA067 vom 25.10.2015 muss es im Untertitel sowie im zweiten Satz des elften Absatzes richtig heißen: ...KOMORER (nicht: Komoren)... --------------------------------------------------------------------- ~ Mamoudzou (APA/dpa) - Das Wasser schimmert in sattem Türkis, der Strand hier hat Paradiespotenzial. Die sich eng zusammenkauernden Menschen im kleinen Boot mit Kurs auf diesen Abschnitt der Insel Mayotte kennen solche Szenerien aus ihrer Heimat, den benachbarten Komoren-Inseln. Doch auf dem französischen Mayotte suchen sie keine Postkartenromantik.
Sie kommen aus einem bettelarmen Land, um als illegale Einwanderer Arbeit, Sicherheit, medizinische Versorgung, eine Zukunft zu finden. Die Kwassa-kwassa genannten Fischerboote bringen auf gefährlichen Überfahrten täglich Migranten in diesen Teil Europas, der fern des Kontinents im Indischen Ozean liegt.
Mayotte gehört politisch zu Europa, ist aber geografisch Teil der Komoren zwischen der Ostküste Afrikas und Madagaskar. Die drei benachbarten Hauptinseln Anjouan, Moheli und Grande Comore bilden den Staat Komoren. Mayotte ist seit 1841 französisch, die Abstimmung von 1974 zum Verbleib bei Frankreich erkannte der Komoren-Staat nie an.
Für Frankreichs jüngstes Departement sichert der europäische Status auch Geld aus Paris und Brüssel. Bis 2020 sollen mehr als 700 Millionen Euro nach Mayotte fließen für Menschen ohne Ausbildung, Wachstum, Beschäftigung, 380 Millionen davon aus EU-Töpfen.
Die Insel ist dennoch alles andere als reich. Französische Statistiken geben pro Einwohner ein Bruttoinlandsprodukt von 6.570 Euro an. Im kontinentalen Teil Frankreichs sind es 29.290 Euro. Die Arbeitslosigkeit auf Mayotte kratzt an der 20-Prozent-Marke, fast doppelt so viel wie in der rund 8.000 Kilometer entfernten „Metropole“.
Doch die Menschen in den sieben Meter langen, schmalen Kwassa-kwassa sehen das anders. „Auf Anjouan sind wir arm“, sagt einer der komorischen Flüchtlinge dem französischen Fernsehen. Zu Mayotte fällt ihm ein Wort ein: „Reich!“ Ein anderer Migrant erzählt vom möglichen Einkommen: „Minimum sind 1.000 oder 1.200 Euro pro Monat. Klar bin ich deswegen gekommen.“
Die Kwassa-kwassa mit ihren schnellen Außenbordmotoren dienen in der Region als Fischerboote. Doch Schlepper nutzen die wendigen Fahrzeuge immer wieder zur Überquerung der knapp 70 Kilometer zwischen Anjouan und Mayotte.
Französische Grenzschützer geben als „üblichen Tarif“ für einen Platz im Kwassa-kwassa 200 Euro an, ein Senatsbericht spricht von 300. An Bord der Boote drängen sich bis zu 30 Männer, Frauen, auch Kinder. Macht maximal 9.000 Euro in wenigen Stunden Überfahrt.
Der Korallengürtel um Mayotte ist auch für die kleinen Fischerboote eine Gefahr. Immer wieder kommt es zu tödlichen Unfällen. Die Präfektur zählt jährlich rund 100 Tote beim Versuch der illegalen Einwanderung. Laut Senat starben seit 1995 bis zu 10.000 Menschen.
Rund 750 Kwassa-kwassa hat die Küstenwache im vergangenen Jahr gestoppt, im Schnitt mehr als zwei pro Tag. Nach Recherchen der Regionalzeitung „Le Journal de Mayotte“ kommen auf ein aufgebrachtes Fischerboot drei bis vier, die es am Radar vorbei bis zur Insel schaffen.
Auf Mayotte fallen die Flüchtlinge von der Nachbarinsel kaum auf. 84.600 Ausländer geben die Statistiker für 2012 auf dem Eiland an, 95 Prozent davon sind Komorer. Insgesamt hat die Insel knapp 213.000 Einwohner. Mehr als 20.000 Menschen kommen nach Schätzung der Präfektur jährlich illegal nach Mayotte.
Bringt die Gendarmerie ein Kwassa-kwassa auf oder wird ein illegaler Einwanderer in der Hauptstadt Mamoudzou geschnappt, geht es in Abschiebehaft. Die Boote werden zerstört, ein Abschreckungsversuch.
Sofern sie nicht minderjährig sind, werden die meisten aufgegriffenen illegalen Einwanderer abgeschoben. Rund 20.000 Menschen wurden im vergangenen Jahr auf die Komoren zurückgeschickt.
Unter den Flüchtlingen sind auch viele Schwangere. In Mamoudzou steht nach Berechnung der Statistikbehörde Insee die Klinik mit den meisten Geburten in Frankreich, rund 7.500 pro Jahr. Etwa zwei Drittel der Frauen stammen von den Komoren. Ihre Kinder haben mit der Geburt in Frankreich Aussicht auf einen französischen Pass.
Das Staatsangehörigkeitsrecht ist deswegen auf der Insel umstritten. Allerdings warnte Frankreichs Premierminister Manuel Valls im Juni bei einem Besuch vor „falschen Debatten“ über das Geburtsortsprinzip. Aus Sicht des Regierungschefs ist die Regelung zu wichtig, um sie wegen der Migranten auf Mayotte zu ändern. „Wenn wir die Debatte hier beginnen, wird sie überall eröffnet.“
Vier von zehn Illegalen sind laut Statistik Minderjährige, die auf Mayotte geboren wurden. Minderjährige werden nicht abgeschoben. Von den Erwachsenen kommen nach Schätzung der Gendarmerie 80 Prozent umgehend zurück.
Direkt in die TV-Kamera ruft ein Flüchtling vor der Abschiebung: „Bis morgen, ich komme morgen wieder!“ Gerade noch saß er mit anderen im Bus Richtung Schiff gen Komoren. Vom Bus aus rief er seine Frau an. Sie steckte ihm kurz darauf Geld durchs Fenster zu - für die erneute Überfahrt nach Mayotte. Vielleicht schon am nächsten Tag, dann wieder im Kwassa-kwassa.