Wenn der Berg groovt
Abgerockt statt wildromantisch: „Die Geier-Wally“ erklimmt die Kammerspiele.
Von Christiane Fasching
Innsbruck –„Die Tiroler sein lustig“, schallt es durch die Stube, an deren Wänden Bergimpressionen pappen und das Landeswappen in Adlergestalt thront. Ein rot-weiß-kariertes Tuch schmückt den hölzernen Tisch, um den sich Menschen in bestickten und geblümten Gewändern scharen. Schön hammas hier. Doch irgendwas bricht das Idyll in dieser vermeintlichen Postkarten-Atmosphäre. Ist’s das Gletscherfragment aus schimmernder Klarsichtfolie? Oder doch der einsame Musiker (Otto Hornek), der zur Lederhose eine Trachtenbluse trägt und auf einem klassischen Heimatabend nichts verloren hätte. In Thomas Krauß’ Inszenierung von „Die Geier-Wally“ passt der schräge Alpenvogel aber perfekt hinein. Denn in der Bühnenfassung von Rebecca Lang und Johanna Wehner kommt Wilhelmine von Hillerns wildromantischer Stoff, der bald 150 Jahre auf dem Buckel hat, recht abgerockt des Weges.
Anstatt ein dramatisches Alpenmärchen zu erzählen, verdichtet Krauß die Legende der wackeren Walburga Stromminger zu einer spannenden Collage, zu einem psychologischen Puzzle, das den Text vor die Handlung stellt. Schließlich ist die Geschichte der Geier-Wally, dieser furchtlosen Berg-Rebellin, die sich gegen ihren Vater und den Rest der dörflichen Männerwelt auflehnt, hierzulande weitgehend bekannt. In der Romanvorlage kommt Wally am Schluss mit ihrer großen Liebe, dem Bären-Joseph, zusammen. Der Geier, dem sie ihren Spitznamen zu verdanken hat, macht dagegen eine Fliege in die Berge.
Auf der Kammerspiel-Bühne gibt’s weder einen flüggen Greifvogel noch ein Happy End: In Ursula Beutlers wandelbarem Bühnenbild, in dem sich Stubenwände alsbald in Gletschergipfel verwandeln, ist der Text König. Bestimmte Passagen werden permanent wiederholt – als wären sie Rosenkranz-Gebete oder ein nachhaltiges Echo. Die Handlung spielt dabei nicht nur in der Wally-Welt, in der Bühnendeutsch regiert, sondern auch in der Gegenwart, in der Dialekt Trumpf ist.
Getragen wird „Die Geier-Wally“ von vier Schauspielern, die sich aber gleich mehrere Rollen auf die Schultern lasten. So switcht Stefan Riedl gekonnt zwischen bärenstarkem Joseph, den die Wally so gern küssen täte, und forderndem Vinzenz, der um alles in der Welt mit der Wally tanzen gehen will – wenn sie ihn bloß mögen würde. Matthias Tuzar überzeugt zwar als junger Mann und als Teil der Dorfgemeinschaft, der Part der Afra liegt ihm aber nur bedingt. Bühnen-Wirbelwind Ute Heidorn meistert das Wechselspiel indes mit Bravour: Egal ob störrischer Stromminger, alte Luckard oder berlinernder Tourist – Heidorn kann alles. Vielschichtig präsentiert sich auch Lisa Hörtnagl, obwohl sie „nur“ die Titelrolle innehat: Ihre Geier-Wally ist ein zartes Pflänzchen und ein harter Hund, eine Romantikerin und eine Rebellin, unglaublich leise und extrem laut. Manchmal zu laut: Dramatik funktioniert auch ohne Dezibel-Lawine, die Regisseur Krauß sparsamer hätte einsetzen können.