53. Viennale - Griechenland-Fokus: Mit Gefühl, ohne „Klugscheißer“

Wien (APA) - Krise, Krise und immer wieder Krise: Kommt das Gespräch auf Griechenland, zeigt sich heutzutage oft nur ein Thema, das diskutie...

Wien (APA) - Krise, Krise und immer wieder Krise: Kommt das Gespräch auf Griechenland, zeigt sich heutzutage oft nur ein Thema, das diskutiert wird. Nicht nur deshalb möchte Vassily Bourikas einen anderen Weg gehen: Für die Viennale hat er einen Programmschwerpunkt zu seiner Heimat kuratiert. „Die Ansicht, dass es nur um ein von Problemen gebeuteltes Land geht, mussten wir überwinden.“

„Uns war von Anfang an bewusst, dass speziell in den letzten fünf Jahren Griechenland international im Fokus war“, erläuterte Bourikas, Filmexperte und Kurator bei mehreren Filmfestivals wie Viennale, Oberhausen und Thessaloniki. „Daher auch der Titel ‚Noch einmal mit Gefühl‘, der sich genau darauf bezieht.“ Ausgewählt hat er letztlich zehn Lang- und mehrere Kurzfilme, die im Zeitraum von 2005 bis 2015 entstanden sind. „Die Zeitspanne war die einzige Voraussetzung“, bezog er sich im Gespräch mit der APA auf die Vorgaben durch Festivaldirektor Hans Hurch. „Daraus resultierten schlussendlich zehn Programme.“

Und diese zeigen die ganze Bandbreite des aktuellen griechischen Kinos: Von einer sehr subjektiven Betrachtung der Proteste im Jahr 2008 („December 2008, Athens and Elsewhere“) eines anonymen Filmemachers über die neueste Arbeit von Yannis Fagras („Forget Me Not“) bis zu den Dokumentationen „Sto Lyko“ (To The Wolf) über zwei ländliche Hirtenfamilien oder „Proti Yli“ (Raw Material), in der Hristos Karakepelis Themen wie Armut, Flucht und Verwertungsketten untersucht. „Wir haben keine Filme über die Krise“, verdeutlicht Bourikas seinen Anspruch. „In den letzten zehn Jahren wurden sehr unterschiedliche Sachen produziert. Einige waren sehr erfolgreich im Festivalkontext, andere nicht. Manche beschäftigen sich mit aktuellen Problemen, andere weniger.“

Dass beispielsweise „December 2008“ zwar auf gesellschaftspolitische Vorfälle abstellt, dabei aber eher unkonventionell ausfällt, sei auch der Machart geschuldet: „Das ist nicht für das TV, nicht für das Kino gedacht - sondern für das Web. Dieser Teenager hat die wahrscheinlich ehrlichste Dokumentation über etwas gemacht, das für diesen Abschnitt der griechischen Geschichte prägend war. Das ist weder nostalgisch noch traditionell.“ Als mutig bezeichnete Bourikas wiederum die Entscheidung der Viennale, „Petropoulos“ ins Programm zu nehmen. „Es wagen nur wenige Festivals, so etwas zu zeigen“, sagte er über die TV-Doku, die sich mit dem griechischen Schriftsteller und Ethnologen Elias Petropoulos beschäftigt. „Sie gehört eigentlich auf den kleinen Schirm. Aber das Thema, dieser subversive Autor, hat Relevanz.“

So ist es auch bei weiteren Werken oft der Kontext, der als verbindendes Element dient, während formale wie inhaltliche Anknüpfungspunkte meist nur marginal vorhanden sind. Ein Umstand, der Bourikas keineswegs stört, sondern für ihn geradezu zum Qualitätsmerkmal seiner Auswahl wird. „Es gibt verschiedene Sichtweisen: Einerseits der Inhalt der Filme selbst, andererseits das Umfeld, in dem sie entstanden sind.“ Viele Festivals würden hingegen versuchen, „nur Außergewöhnliches zu suchen und aneinanderzureihen. Aber genau dann wird das langweilig. Dann wird es zu einem Wettbewerb der Klugscheißer. Und das ist kein Programm über Klugscheißer.“

Was die aktuelle Situation für griechische Filmemacher betrifft, so zeichnet Bourikas ein differenziertes Bild. „Finanziell ist es sicher schwieriger als vor einigen Jahren. Derzeit gibt es keine Subventionen durch den Staat mehr. Aber auch früher war die Unterstützung nicht wahnsinnig groß. Andererseits gab es vorher nicht so viel Interesse an Griechenland“, gab der Kurator und Filmexperte zu bedenken. „Um ehrlich zu sein: Die Möglichkeiten für griechische Filmemacher sind derzeit wahrscheinlich sogar größer. Wenn man sich die Kataloge von Filmfestivals ansieht, dann zeigt sich schon rein statistisch, dass Griechenland stark vertreten ist. Dieses Interesse erzeugt auch eine gewisse finanzielle Interaktion.“

Jene Arbeiten, die allerdings außerhalb des üblichen Marktes stattfinden würden, hätten hingegen besonders stark unter der Krise zu leiden. „Das sind die wirklich unabhängigen Filmemacher, die sich nicht nach Erwartungen richten. Diese Szene ist eigentlich nicht mehr vorhanden“, resümierte Bourikas. Eine Abwanderung von Kreativköpfen befürchtet er hingegen nicht. „Viel problematischer ist die Gefahr, dass es zu einer Abwanderung von Themen, Herangehensweisen oder Einstellungen kommt, wenn sich Regisseure an von außen gesetzte Anforderungen anpassen wollen. Dann diktiert der Markt, was zu einem homogenen Output führen würde.“ Für seine Filmauswahl lässt sich das jedenfalls nicht konstatieren.

(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)

(S E R V I C E - Griechenland-Schwerpunkt im Rahmen der Viennale: „Noch einmal mit Gefühl. Filme aus Griechenland 2005 - 2015“, kuratiert von Vassily Bourikas. Übersicht über die Filme und Screenings: http://go.apa.at/5EaI9kwy)