Wohnen ist den Tirolern lieb, aber teuer
Teuer, schön, am liebsten im eigenen Besitz: Das Thema Wohnen lässt im Land niemanden kalt. Dabei wird deutlich, dass die Schere zwischen dem Statussymbol Wohnung und der Wohnungsnot immer größer wird.
Von Marco Witting
Innsbruck — Wie Tirol wohnt? Aus Arno Ritter, Chef von Architektur und Tirol — aut, schießt da das Wort „teuer“ heraus. Und das ist wohl auch der Begriff, der vielen anderen Tirolern so einfällt, die sich mit Wohnungssuche oder Hausbau je beschäftigt haben. Aber wie wohnt Tirol wirklich? Der Versuch einer Annäherung.
308.800 Hauptwohnsitzwohnungen gibt es laut Statistik Austria (Mikrozensus) mit Ende 2014 im Bundesland. Das alleine sind schon 12.000 Gebäude mehr als noch vier Jahre zuvor. Auffallend dabei: 20 Prozent der Wohnungen oder Häuser wurden nach 2001 gebaut. Jedes dritte Gebäude in Tirol ist maximal 25 Jahre alt. Und die Tiroler haben den größten Teil ihrer Unterkünfte im eigenen Besitz. 57 Prozent der Wohnungen und Häuser, in denen ein Hauptwohnsitz angemeldet ist, werden von den Eigentümern bewohnt. 32 Prozent wohnen demnach zur Miete. Der Rest teilt sich auf Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen sowie andere Mietverhältnisse auf.
34,5 Prozent der Tiroler leben in einem Einpersonenhaushalt. Über elf Prozent der Menschen haben in ihrer Wohnung nur eine Einzelofenheizung oder gar keine Heizung — so einige Auszüge aus dem Ergebnis der Statistik Austria. Doch statistische Erhebungen sagen immer nur einen Teil der Wahrheit aus. Das wird ganz deutlich, wenn man sich etwa die Aufstellung über die Wohnkosten im Land genauer ansieht.
Zwar liegt schon der durchschnittliche Mietpreis in Tirol mit 499,10 Euro pro Wohnung bzw. 7,60 Euro pro Quadratmeter österreichweit im Spitzenfeld (Salzburg und Vorarlberg liegen hier noch höher). Wer im Zentralraum oder in den Tourismusgebieten aber versucht hat, eine Wohnung am freien Markt um diesen Preis zu finden, weiß: Solche Angaben sind eigentlich nur Zahlenspiele. Die Realität sieht teurer aus. „Es gibt zwischen sozialem Wohnbau und High-End-Wohnungen im obersten Preissegment speziell im Großraum Innsbruck eine Lücke. Das ist ein großes Problem“, sagt Ritter. Es gebe ein Grundproblem in Sachen Grund und Boden, was an den „wahnsinnigen Preissteigerungen“ liege. Hier habe es seitens der Politik in der Vergangenheit Versäumnisse gegeben. „Es braucht eine offensivere Bodenpolitik, die nachhaltig bleibt. Das könnten etwa Pachtmodelle sein.“
Enorme Preissteigerungen bei Mieten
Auch bei den Mieten zeigen sich die enormen Preissteigerungen. Inklusive der Betriebskosten stiegen diese seit 2008 stets um über drei Prozent. Und die statistische Auswertung der Durchschnittsmieten zeigt auch, dass eine neue Wohnung (2001 oder jünger) deutlich teurer ist. Die höchsten Wohnkosten gibt es bundesweit in Städten mit über 10.000 Einwohnern. In Kleingemeinden lebt es sich deutlich günstiger. „Wir haben aber in Tirol schon sehr häufig das Phänomen beobachtet, dass Menschen, die in den 70er- oder 80er-Jahren in die Umlandgemeinden gezogen sind, jetzt wieder in die Stadt zurückziehen. Gleichzeitig ist der enorme Zuzug für den Speckgürtel oft eine enorme Herausforderung“, sagt der aut-Chef.
Das Thema Wohnen ist für die Menschen in Tirol ein bestimmendes. Das zeigen auch die zahlreichen politischen Diskussionen und Absichtserklärungen dazu. Doch woran liegt das eigentlich? Ist Wohnen gar zu einem Statussymbol geworden?
Soziologin Silvia Rief von der Uni Innsbruck sagt dazu: „Das kann durchaus ein deutliches Statussymbol sein. Zumindest suggerieren das die zahlreichen Magazine und Zeitschriften, die sich um das Wohnen, Einrichten und damit verbundene Lebensstile drehen. Es gibt natürlich auch die Marketing-Strategien der Immobilienbranche, die das Wohnen zu einem Statussymbol hochstilisieren.“
Ob das Thema in Tirol wichtiger ist als in anderen Breiten, lasse sich schwer beurteilen. Ähnliche Tendenzen gebe es auch in anderen wohlhabenden Städten und Regionen. „Allerdings vermute ich auch, dass Wohnen als Statussymbol eher für wohlhabende und gut situierte Bevölkerungsschichten relevant ist, die auch über die finanziellen Ressourcen verfügen.“ Sprich, angesichts von hohen Wohnkosten und geringen Einkünften „bleibt da für viele auch nicht viel Spielraum für die Verwirklichung der Träume“. In bestimmten „postmateriellen“ Kontexten sei auch eine gewisse Abkehr von konventionellen Statussymbolen und Wertemustern zu beobachten. „Vielleicht auch deswegen, weil die Mittel zur Realisierung nicht (mehr) gegeben sind. Man sollte nicht vorschnell von Formen der Darstellung in Medien und Werbung auf die Bevölkerung insgesamt schließen.“
Und für die Soziologin ist eines nicht zu vernachlässigen: „Ich habe schon von Beispielen aus Innsbruck gehört, wo sich Familien aus finanzieller Not eine Wohnung teilen und abwechselnd dort wohnen. Auch solche Realitäten gehören zu der Frage ?Wie wohnt Tirol?.“ Derartige Diskrepanzen zwischen dem Luxus Wohnen und Wohnungsnot dürfe man nicht vergessen.
Tirols Sozialvereine haben nicht zuletzt auf die ständig steigende Wohnungsnot in der Vergangenheit mehrfach hingewiesen.
Ist teuer gleich schön?
Doch wenn Tirol schon so teuer wohnt, wohnt man dann auch schön? Aut-Chef Ritter sagt „Ja“. Allerdings eher auf Grund von äußerlichen Voraussetzungen. „Es gibt gute Gründe, warum man hier leben möchte. Die Qualität des Lebensraums ist sehr hoch. Zwischen privaten Wohnbauten und den gemeinnützigen Bauten fehlt etwas dazwischen. Es braucht hier sicherlich neue Wohnideen.“ Außerdem sei in Tirol sehr weit ein gewisses Kirchturmdenken verbreitet. Alles, was über die eigenen vier Wände hinausgehe, sei für viele Menschen schon uninteressant. „Man darf nicht immer nur den Wohnraum, sondern muss auch den Lebensraum betrachten.“
Im Verhältnis zur Einwohnerzahl gibt es in Tirol nach Wien übrigens die meisten Architekten in Österreich. Durchschnittlich sind dagegen die Wohnungsgrößen. In Einfamilienhäusern steht jedem Bewohner durchschnittlich eine Nutzfläche von 45,8 Quadratmetern zur Verfügung, in Wohngebäuden mit mehr als drei Einheiten sind es nur noch 37,2 Quadratmeter pro Bewohner. Auch hier handelt es sich natürlich nur um Mittelwerte. Besonders hoch ist in Tirol der Anteil an alten Menschen in Gemeinschaftsunterkünften.