Zeitenwende in Dauerrotation: Joanna Newsom mit neuem Album
Hochtrabend, vielschichtig und vieldeutig: Freak-Folk-Zauberin Joanna Newsom taucht mit dem großartigen Album „Divers“ wieder auf.
Von Silvana Resch
Innsbruck –Fünf Jahre sind seit Joanna Newsoms letztem Album vergangen, viel Zeit hat sich die amerikanische Singer-Songwriterin aber dennoch nicht gelassen – auch wenn sie mit ihrem Ehemann, dem Comedian und Schauspieler Andy Samberg („Brooklyn Nine-Nine“), des Öfteren am roten Teppich gesichtet wurde. Das Paar lebt in Los Angeles in einer Villa, in der bereits Charlie Chaplin residierte, das glamouröse Leben hat Newsom in dem ausufernden Triple-Album „Have One on Me“ 2010 verhandelt. Seitdem wurde intensiv an der neuen Platte „Divers“ gebastelt. Manche der Songs wurden in wenigen Tagen geschrieben, für andere brauchte die 33-Jährige beinahe ein Jahr. Noch länger wurde an der raffinierten Instrumentierung der insgesamt elf Stücke gefeilt. Unter den Arrangeuren finden sich alte Weggefährten und klingende Namen wie Ryan Francesconi, Nico Muhly oder Dirty-Projectors-Frontman Dave Longstreth. Mal wuchtig, mal zart kommt das vierte Album der Kalifornierin nun daher. Newsoms Harfenklänge, auf ihrem 2006er-Meisterwerk „Ys“ (grandios produziert von Van Dyke Parks) noch in der Hauptrolle, finden sich nun gleichwertig neben verschiedensten Tasteninstrumenten, darunter Klavier, Mellotron, Klavichord und Celesta – allesamt von der Multiinstrumentalistin selbst bespielt. Einen großen Auftritt hat auch das Prager Sinfonieorchester, eine elektrische Gitarre blitzt hingegen nur kurz auf, auch Vogelgezwitscher und der Ruf einer Eule sind zu vernehmen. So in „Time, As a Symptom“, der letzten Nummer auf dem Album. In Dauerrotation abgespielt verweist das Ende auf den Anfang, mit dem Wort „Trans“ klingt die Platte nach 52 Minuten Spielzeit aus – um mit „Sending“ im Opener „Anecdotes“ wieder zu beginnen. „Transcending“ lautet der Imperativ auf „Divers“, einem Werk, das an den Staub- und Farbschichten der Zeit kratzt und dabei die wundersamsten Dinge in verrätselte Lyrics packt.
Zentrales Thema ist die Vergänglichkeit, die in der Single „Sapokanikan“ verhandelt wird. Der Titel verweist auf eine ehemalige Siedlung amerikanischer Ureinwohner, dort, wo heute das New Yorker Hipsterviertel Greenwich Village zu finden ist. Der Text ist ein feinsinnig kryptisches Gewebe, in dem Percy Bysshe Shelleys und Horace Smiths „Ozymandias“-Gedichte auch mit dem tragischen Schicksal von John Purroy Mitchel verwoben werden. Der so genannte „Boy“ Mayor of New York musste 38-jährig als Bürgermeister abdanken, um nur wenig später aus einem Flugzeug der Royal Air Force zu fallen. Währenddessen tritt unter dem Gemälde eines holländischen Meisters ein vor Jahrhunderten übermaltes Frauenporträt wieder hervor. Es bleibt dem Hörer überlassen, über den steten Wandel zu staunen oder Verluste zu beklagen, gewiss ist nur: „The Event Lives Only in Print“, wie Newsom in „Sapokanikan“ singt.
Mit ihrer unverkennbaren Stimme, die zwischen zarter Elfe und alter Hexe sämtliche Nuancen bespielt, mäandert die Sängerin durch ausgefuchste Klanggebilde zwischen Folk (oftmals als Freak Folk bezeichnet) und Klassik. Hochtrabend wird auf „Divers“ Seemannsgarn gesponnen, Schlachten werden geschlagen, künftige Science-Fiktion-Kriege ausgetragen. Einzutauchen in dieses künstlerische Großprojekt lohnt sich allemal, nicht nur für Astrophysiker Stephen Hawking ist „Divers“ das Album des Jahres.