Lautenschläger: Nationale Sonderregeln schwächen EZB-Bankenaufsicht
Frankfurt (APA/dpa) - Europas oberste Bankenaufseher wollen nationale Spielräume bei der Überwachung der Finanzbranche zunehmend einschränke...
Frankfurt (APA/dpa) - Europas oberste Bankenaufseher wollen nationale Spielräume bei der Überwachung der Finanzbranche zunehmend einschränken. „Leider gibt es immer noch zu viele nationale Sonderregeln. Diese untergraben das Aufsichtsniveau und die Wettbewerbsgleichheit“, sagte die Vize-Chefin der EZB-Bankenaufsicht, Sabine Lautenschläger, der Deutschen Presse-Agentur in Frankfurt.
Es sei allen klar gewesen, dass das auf europäischer Ebene festgelegte Aufsichtsrecht sehr unterschiedlich in nationales Recht umgesetzt werden würde. „Wie unterschiedlich nationales Recht ist und nationale Aufsichtstradition im Euroraum war, hat mich dann doch überrascht“, sagte Lautenschläger, die zugleich Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) ist. Die neue einheitliche Bankenaufsicht („Single Supervisory Mechanism“/SSM) überwacht seit dem 4. November 2014 die 123 führenden Banken in den 19 Eurostaaten direkt.
Frage: Hat die einheitliche Aufsicht Europas Bankenlandschaft sicherer gemacht und woran lässt sich das konkret festmachen?
Antwort: Ja, Europas Banken sind sicherer geworden, unter anderem auch wegen der europäischen Aufsicht. Wir sorgen für mehr und besseres Kapital in den Banken, verringern Arbitrage und stellen einheitliche Anforderungen bei gleichen Sachverhalten. Insbesondere haben wir dieses Jahr das Risikoprofil aller signifikanten Banken im Euroraum nach einer einheitlichen Methodik bewertet und entsprechende institutsindividuelle Kapitalaufschläge festgelegt. Außerdem sind wir dabei, den Spielraum für nationale Ausnahmeregeln zu verringern. Das schafft die Voraussetzung für einen fairen Wettbewerb der Banken im Euroraum.
Frage: Was haben Sie im vergangenen Jahr gelernt? Wo haben Sie nachgesteuert? Welche Probleme müssen kurzfristig ausgeräumt werden?
Antwort: Die einzelnen Mitgliedsländer haben das auf europäischer Ebene festgelegte Aufsichtsrecht sehr unterschiedlich in nationales Recht umgesetzt. Das war uns allen klar. Wie unterschiedlich nationales Recht ist und nationale Aufsichtstradition im Euroraum war, hat mich dann doch überrascht. Aufsichtstradition können wir im SSM ändern, nationales Recht müssen wir im SSM aber anwenden und das heißt, dass es für etliche Themen bis zu 19 unterschiedliche Vorgehensweisen gibt. Das sorgt oft nicht nur für mehr Aufwand, sondern hier und dort für unterschiedliche Behandlung von gleichen Sachverhalten. Das muss dort, wo Unterschiede nicht in nationalen Besonderheiten begründet liegen, angegangen werden.
Frage: Ist die Trennung von Bankenaufsicht und Geldpolitik innerhalb der EZB in der derzeitigen Struktur auf Dauer funktional? Oder braucht es nicht doch eine rechtlich saubere Trennung der beiden Bereiche?
Antwort: Der rasche Aufbau der gemeinsamen Aufsicht war nur unter dem Schirm der EZB möglich. Und auch die Unabhängigkeit der Bankenaufsicht, die ich für einen gewichtigen Vorteil halte, war nur unter dem Dach der Zentralbank denkbar. Um möglichen Interessenskonflikten vorzubeugen, haben wir die Entscheidungswege in der Geldpolitik und der Bankenaufsicht so weit wie möglich getrennt, so wie es das Separationsprinzip verlangt. Langfristig schließe ich aber eine institutionelle Trennung der beiden Aufgaben nicht aus.
Frage: Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret mahnte jüngst zu mehr Augenmaß beim Versuch, die Aufsichtspraxis in Europa zu vereinheitlichen. Eine kleine Bank mit risikoarmem Geschäft müsse nicht so intensiv beaufsichtigt werden wie eine große Bank, die riskantere Geschäfte betreibt. Sind Sie zu streng mit kleinen Instituten?
Antwort: Die direkte Aufsicht des SSM bezieht sich nur auf die 123 signifikanten Banken. Innerhalb dieses Aufgabenbereiches legen wir Wert auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Das heißt, dass wir die größeren Banken beziehungsweise die riskanteren einer engmaschigeren oder intensiveren Aufsicht unterwerfen. Wir haben dazu beispielsweise einen genau kalkulierten Ressourcenschlüssel. Für die Aufsicht über die ganz großen unter den signifikanten Banken stellen wir bis zu zehn Mitarbeiter pro Bank bereit, während die kleinen der signifikanten Banken mit ein bis zwei Mitarbeitern beaufsichtigt werden. Die Aufsicht für all die kleinen Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken liegt weiter in der Hand der nationalen Aufsichtsbehörden. Sie bestimmen das aufsichtsrechtliche Tagesgeschäft. Die EZB unterstützt lediglich im Hintergrund.
Frage: Bankenverbände rechnen mit mehr Fusionen, weil gerade kleinere Banken oft überfordert seien mit der Vielzahl neuer Anforderungen. Begrüßen Sie als Aufseherin eine solche Bereinigung des Marktes - gerade in Deutschland -, ist sie womöglich sogar gewollt?
Antwort: Der Gesetzgeber hat sich für eine strengere Aufsicht für alle Banken entschieden. Dies respektieren wir als Aufseher. Darüber hinaus gibt es sehr erfolgreiche kleinere Banken. Als Aufseher betreibt man nicht Strukturpolitik, sondern stellt sich unter anderem die Frage, ob Geschäftsmodelle tragfähig sind, ob es genügend Kunden für die Zahl der am Markt tätigen Banken gibt. Und gerade die letzte Frage ist die Kernfrage in Deutschland.
Frage: Was sind aus Ihrer Sicht die vordringlichsten Aufgaben der europäischen Bankenaufsicht für die nächste Zeit?
Antwort: Wir wollen unsere Aufgabe erfüllen, zu sicheren und stabilen Bankensystemen beizutragen. Dazu müssen wir in der Lage sein, gleiche Sachverhalte auch gleich behandeln zu können, auch um Regulierungskosten und Aufsichtsarbitrage zu unterbinden. Aber leider gibt es immer noch zu viele nationale Sonderregeln. Diese untergraben das Aufsichtsniveau und die Wettbewerbsgleichheit. Aus diesem Grund ist es eine vordringliche Aufgabe, die Harmonisierung nicht gerechtfertigter, nationaler Spielräume mit Nachdruck anzugehen. Neben der Harmonisierung ist unser klares Ziel eine faire, aber harte Aufsicht im täglichen Ablauf umzusetzen. Daran arbeiten unsere Teams jeden Tag.
~ WEB http://www.ecb.int ~ APA171 2015-11-02/11:15