Und wenn Rabin noch leben würde...?

Tel Aviv (APA/AFP) - Würden Israelis und Palästinenser seit Jahren in Frieden miteinander leben? Und wo steht Israel heute ohne Yitzhak Rabi...

Tel Aviv (APA/AFP) - Würden Israelis und Palästinenser seit Jahren in Frieden miteinander leben? Und wo steht Israel heute ohne Yitzhak Rabin? Diese Fragen stellen sich anlässlich des 20. Jahrestages der Ermordung ihres Ministerpräsidenten derzeit viele Israelis. Und die Antworten bewegen sich zwischen träumerischer Prophezeiung und dem ernüchternden Verweis auf die Tagesaktualität.

Fast 100.000 Menschen versammelten sich am Wochenende auf dem Platz in Tel Aviv, auf dem Rabin am 4. November 1995 von einem jüdischen Rechtsextremisten ermordet worden war und der heute seinen Namen trägt. In ihren Augen war der Berufssoldat und Generalstabschef im siegreichen Sechstagekrieg ein Vorkämpfer für eine Hinwendung zum Frieden - zertifiziert durch einen Nobelpreis für seinen Beitrag zum Oslo-Abkommen mit den Palästinensern. Doch die Zeitungen titelten: „Kundgebung der Verzweiflung“ oder „Demo ins Nirgendwo“.

Die 44-jährige Meirav brachte die Stimmung auf den Punkt: „Ich bin immer bei den jährlichen Gedenkveranstaltungen. Und wir waren noch nie so viele. Das tut gut, denn zugleich habe ich Rabins Geist noch nie soweit entfernt gefühlt wie heute.“ Die Friedensaktivistin verweist auf die Welle von Gewaltakten, die Extremisten beider Seiten in den vergangenen Monaten verübten.

70 Prozent aller Israelis halten es laut Umfragen sogar für möglich, dass jetzt ein erneutes Attentat auf einen Spitzenpolitiker passieren könnte. Und das Oslo-Abkommen, das binnen fünf Jahren in eine Zweistaatenlösung münden sollte, scheint sowieso mausetot.

Vor diesem Hintergrund wird im privaten Kreis, in den Medien und in der Politik derzeit heftig die Frage diskutiert: Wie wäre die Geschichte weitergegangen, wenn Rabin nicht ermordet worden wäre? Eine sehr entschiedene Meinung vertritt dazu Uri Savir, israelischer Chefunterhändler von 1993 bis 1996: „Mit nur einer Amtszeit mehr für Rabin hätten wir ein endgültiges Abkommen mit den Palästinensern erreicht und dazu vielleicht sogar einen Friedensvertrag mit Syrien.“

Doch nach der Ermordung des Regierungschefs gewann das rechte Lager die Wahlen und Benjamin Netanyahu wurde erstmals Ministerpräsident. „Er hat sich darauf konzentriert, systematisch alles, was vorgesehen war, zu hintertreiben“, sagte Savir der Nachrichtenagentur AFP.

Dem amtierenden Ministerpräsidenten missfällt die derzeitige kollektive Gewissenserforschung: „Es ist irrelevant, sich die Frage zu stellen, was wäre, wenn dieser oder jener noch unter uns weilen würde“, sagte Netanyahu vergangene Woche in einem Parlamentsausschuss und fuhr fort: „Haben wir einen Zauberstab? Nein. Müssen wir weiter mit dem Schwert leben? Die Antwort lautet Ja.“

Auch jenseits des rechten Lagers bezweifeln einige, dass Rabin in der Lage gewesen wäre, seinen Weg konsequent zu Ende zu gehen. „Lebte er noch, wäre er wie Shimon Peres ein hyperaktiver Neunzigjähriger. Und Netanyahu wäre trotzdem Ministerpräsident und würde ständig alle Schuld auf die Palästinenser schieben“, schreibt Anshel Pfeffer in der linksliberalen Tageszeitung „Haaretz“.

Der frühere Minister Yosser Beilin, der den Oslo-Prozess initiiert hatte und danach mit der Vorbereitung eines finalen Abkommens beauftragt war, berichtet, dass Rabin zum Zeitpunkt seines Todes keine klare Vorstellung über die Grenzen und den Grad der Souveränität eines Palästinenserstaates hatte. „Ich denke dagegen, er hätte wirklich einen Friedensschluss mit Syrien erreichen können, denn er war bereit, den Golan zurückzugeben“, sagt Beilin.

Und auch Rabins Tochter Dalia bezweifelt, dass ihr Vater das Schicksal ohne eindeutiges Zutun der Palästinenserführung alleine hätte steuern können. Es habe sich zwar „durchaus eine Art Vertrauensbeziehung“ zwischen Rabin und PLO-Chef Yasser Arafat entwickelt“, erinnert sie sich. „Aber die war letztendlich doch sehr fragil“, gibt die frühere Knessetabgeordnete zu bedenken.