AKP will nach Wahlsieg neue Verfassung - gemischte Reaktionen
Istanbul/Straßburg/Washington (APA/dpa/AFP/Reuters) - Nach ihrem überraschend deutlichen Wahlsieg in der Türkei strebt die islamisch-konserv...
Istanbul/Straßburg/Washington (APA/dpa/AFP/Reuters) - Nach ihrem überraschend deutlichen Wahlsieg in der Türkei strebt die islamisch-konservative AKP eine neue Verfassung mit mehr Macht für Präsident Recep Tayyip Erdogan an. AKP-Chef und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu rief in der Nacht auf Montag bei seiner Siegesrede in Ankara die drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien auf, bei einer Verfassungsreform mit der AKP zusammenzuarbeiten.
Deutschland und die USA gratulierten der Türkei zur Wahl. Zugleich kritisierte der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Josh Earnest, die Einschränkung der Pressefreiheit. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Parlamentarische Versammlung des Europarats und das Europaparlament kritisierten die Wahl in der Türkei als „unfair“.
„Lassen wir die Putschverfassung hinter uns, und fassen wir alle zusammen mit an für eine zivile und freiheitliche Verfassung“, sagte Davutoglu nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Eine Verfassungsreform zur Einführung eines Präsidialsystems ist erklärtes Ziel von Erdogan und der von ihm mitgegründeten AKP. Die derzeitige Verfassung stammt aus der Zeit der Militärherrschaft nach dem Putsch von 1980.
Für ein Referendum über eine Verfassungsreform sind 330 Abgeordnete nötig - 13 mehr, als die AKP nach der Wahl im Parlament haben wird. Die drei Oppositionsparteien - die Mitte-Links-Partei CHP, die pro-kurdische HDP und die ultrarechte MHP - sind strikt gegen ein Präsidialsystem. Sie befürchten eine autokratische Herrschaft Erdogans.
Nach der Neuwahl zum Parlament wird in Ankara mit einer zügigen Regierungsbildung gerechnet. Entgegen allen Vorhersagen der Meinungsforscher konnte Erdogans AKP bei der Wahl mit knapp 50 Prozent der Stimmen die vor fünf Monaten verlorene Absolute Mehrheit zurückerobern. Nach den vorläufigen Ergebnissen sicherte sich die AKP 317 der 550 Sitze in der Nationalversammlung. Die CHP kommt demnach auf 134, die HDP auf 59 und die MHP auf 40 Abgeordnete.
Bei der Wahl im Juni hatte die AKP ihre Absolute Mehrheit erstmals seit Übernahme der Regierung im Jahr 2002 verloren. Nachdem Koalitionsgespräche gescheitert waren, rief Erdogan Neuwahlen aus. Die Opposition warf dem Präsidenten vor, eine Koalition mit der CHP gezielt verhindert zu haben, um Neuwahlen zu erzwingen und die Absolute Mehrheit wiederzuerlangen. Bei der Neuwahl am Sonntag legte die AKP um rund 4,8 Millionen Stimmen zu.
Erdogan gratulierte der AKP - der er formal nicht mehr angehört, für die er aber Wahlkampf betrieben hatte - zu ihrer Alleinregierung. Davutoglu kündigte an, die Rechte aller Bürger und die Meinungs- und Glaubensfreiheit zu schützen. „Die Feinde der neuen Türkei haben einmal mehr verloren“, sagte er. „Die Wahl vom 1. November war das Referendum für die neue Türkei. Ihr habt gezeigt dass die alte Türkei tief begraben ist und nie wieder zurückkehren wird.“
Obamas Sprecher sagte, Washington sei „zutiefst besorgt, dass regierungskritische Medien und Journalisten während der Wahlkampagne unter Druck gesetzt und eingeschüchtert wurden, anscheinend auf eine Weise, um die politische Opposition zu schwächen“. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel versicherte Davutoglu in einem Telefonat die Bereitschaft ihrer Regierung zur weiterhin engen Zusammenarbeit bei der Bewältigung anstehender Herausforderungen.
In einer sehr knappen Mitteilung gratulierte die iranische Außenamtssprecherin Marzieh Afkham der türkischen Regierung zum erfolgreichen Ablauf und der hohen Wahlbeteiligung. Zum Wahlsieg der AKP selbst äußerte sich die Sprecherin nicht. Wegen ihrer unterschiedlichen Syrien-Politik haben sich die Beziehungen der beiden islamischen Nachbarn in den vergangenen vier Jahren abgekühlt. Der Iran unterstützt das Regime von Präsident Bashar al-Assad, die Türkei einen Teil der syrischen Regimegegner.
Wahlbeobachter der OSZE kritisierten, die andauernde Gewalt besonders im kurdisch geprägten Südosten habe einen freien Wahlkampf behindert. Restriktionen bei der Pressefreiheit blieben sehr besorgniserregend. Der Wahlkampf sei „von Gewalt beeinträchtigt“, die Freiheit der Presse eingeschränkt worden, hieß es in einem gemeinsamen Bericht der OSZE, der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und des Europaparlaments.
~ WEB http://www.osce.org/
http://hub.coe.int/ ~ APA525 2015-11-02/21:59