Autor Chris Thorpe: „Krise ist in ein guter Nährboden für Theater“ 1
Wien/Manchester (APA) - Der Brite Chris Thorpe ist Vertreter eines politischen Theaters, das den unmittelbaren Kontakt zum Zuschauer sucht. ...
Wien/Manchester (APA) - Der Brite Chris Thorpe ist Vertreter eines politischen Theaters, das den unmittelbaren Kontakt zum Zuschauer sucht. Sein Stück „There Has Possibly Been An Incident“ wurde 2014 auf Einladung von Simon Stephens in einer Produktion aus Manchester beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens vorgestellt. Das Wiener Schauspielhaus zeigt am Freitag die Deutschsprachige Erstaufführung des Stücks.
In „Möglicherweise gab es einen Zwischenfall“, das gleichzeitig in Saarbrücken zur Erstaufführung kommt, werden die Protagonisten mit brisanten Situationen konfrontiert, die von ihnen schwierige Entscheidungen verlangen. Diese Konflikte sind kunstvoll miteinander verknüpft und beziehen den Zuschauer unmittelbar mit ein. Wenige Tage später zeigt Thorpe, der auch Performer und Musiker ist, am Schauspielhaus sein Solo-Stück „Confirmation“, bei dem er im Dialog mit dem Publikum auslotet, wo die Grenzen der Toleranz in der politischen Debatte liegen. Der APA gab er im Vorfeld per Mail Auskunft.
APA: Herr Thorpe, Sie stehen für einen sehr politischen Zugang zum Theater. Ist die gegenwärtige Zeit der Krise und der Unsicherheit ein guter Nährboden für politisches Theater?
Thorpe: Ja. Ich denke, Theater bietet eine Kombination von zwei Dingen: ein unmittelbares Forum, um die Probleme, mit denen wir konfrontiert werden, anzusprechen, aber auch eine Distanz, um Fragen aus unterschiedlichen Winkeln und mit unterschiedlichen Stimmen zu behandeln. Die Gefahr ist, dass sich ein Theater dabei isoliert - weil die schlichte Existenz eines Kunstwerks oder die Teilnahme an ihm bereits sich selbst genügt. Theater kann aber nur dann effektiv sein, wenn es einen Effekt über das Theater hinaus erzielt und - wie klein auch immer - eine Verhaltens- oder Perspektivenänderung herbeiführt. Ich glaube, die Krise ist nicht nur ein guter Nährboden für solche Arbeiten, sondern auch ein guter Rahmen dafür. Theater und Theatergruppen können auch untersuchen, wie sie als Institutionen reagieren können - etwa indem sie alternative Handlungs- oder Protestformen anbieten oder Zuflucht gewähren.
APA: In Ihrer Performance „Confirmation“, mit der Sie am Schauspielhaus gastieren werden, versuchen Sie das Publikum dazu zu bringen, Ihre fest gefertigten Haltungen und Meinungen neu zu hinterfragen. Ist das eines der Hauptziele Ihres Theaters?
Thorpe: Ja, ich denke schon. Der sachliche Hintergrund der Aufführung (in diesem Fall die extremen Ansichten jener Person, mit der ich ins Gespräch kam) ist ein Brennspiegel für jeden in dem Raum, mich eingeschlossen, herauszufinden, wie unser Verstand Information verarbeitet. Ich weiß, wie ich über seine Ansichten denke, aber interessant ist es, herauszufinden, wie sehr meine Haltung dazu auch mein Unterbewusstsein verändert. Das Selbstbild kann dabei durchaus ins Wanken geraten.
APA: Wie wichtig ist der Autor in Ihrem Theaterkonzept? Kommt es nur auf Improvisation und Dialog mit dem Zuschauer an, oder gibt es auch Platz für Poesie und ausgefeilten Text?
Thorpe: Ich glaube, sorgfältig gebauter Text ist der Schlüssel für Improvisation. Wenn ich genau weiß, was ich sage oder frage, dann bin ich in dem Moment auch viel empfänglicher. Ich versuche immer, eine Aufführung richtig in meine Knochen zu bekommen, damit ich frei bin, mich vom Text zu entfernen oder zu ihm zurückzukehren, wann immer es erforderlich ist. Nur so kann ich auch richtig auf jemanden reagieren, der mit mir in Dialog treten möchte. Nichts ist schlimmer als ein Performer, der nur so tut, als höre er zu, und dann zu den vorgefertigten Antworten greift.
APA: Sie haben vor allem mit kleinen Gruppen gearbeitet. Sind die größeren, festen Häuser in Großbritannien zu konservativ, zu ignorant für Ihre Art von Theater?
Thorpe: Ich glaube, ich arbeite auf diese Weise, weil Zusammenarbeit so wichtig ist. Wenn ich als Autor arbeite, habe ich die Tendenz, mit größeren Theatern zusammenzuarbeiten. Aber ich könnte das nicht ausschließlich tun. Das würde mich verrückt machen. Ich brauche zumindest die Hälfte der Zeit eine aktive Rolle beim Entwickeln einer neuen Arbeit. Die Szene in Großbritannien ist vielleicht tatsächlich konservativer als anderswo, aber natürlich gibt es auch Gegenbeispiele. So schreibe ich etwa gegenwärtig für das Royal Court und das Royal Exchange. Die beiden Häuser, und noch einige andere, sind heute Experimenten gegenüber viel aufgeschlossener als früher.