Staatenlosigkeit

Ein Leben im Schatten: Millionen Kinder sind staatenlos

Brennpunkt Syrien: In Kriegsgebieten ist das Problem der Staatenlosigkeit besonders gravierend.
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„Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Staatsangehörigkeit“, heißt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Doch die Realität sieht anders aus. Weltweit fristen etwa zehn Millionen Menschen ein Schattendasein, schätzt das UNHCR. Bis 2024 soll das Problem der Vergangenheit angehören.

Genf – Sie beschreiben sich als „wertlos“ oder „unsichtbar“, fühlen sich „wie Straßenhunde“, Heimatland haben sie offiziell keines: Alle zehn Minuten wird irgendwo auf der Erde ein staatenloses Kind geboren. Jährlich kommen in den am stärksten betroffenen 20 Ländern mindestens 70.000 Kinder staatenlos zur Welt, so die Zahlen des UNHCR. UN-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres will am Mittwoch den jüngsten Bericht zum Thema vorstellen, für den 250 Betroffene aus sieben Ländern befragt wurden. Der Bericht ist eine Zwischenbilanz der Kampagne #Belong, mit der die UNO das Problem bis 2024 überwinden will.

Insgesamt sind UNHCR-Schätzungen zufolge weltweit etwa zehn Millionen Menschen ohne Staatsangehörigkeit – und somit offiziell ohne Heimat. Die meisten von ihnen leben gemäß den bis Ende 2013 reichenden Statistiken in Myanmar (810.000), der Elfenbeinküste (Cote d‘Ivoire) (700.000) und Thailand (506.000).

Diskriminierung, Frustration, Hoffnungslosigkeit

Für die Betroffenen bedeutet ihr Schicksal laut UNHCR-Bericht in dutzenden Staaten eine Kindheit voller „Diskriminierung, Frustration und Verzweiflung“. Staatenlose Kinder seien von medizinischer Versorgung, Bildung und später auch vom Zugang zum Arbeitsmarkt abgeschnitten.

„In der kurzen Zeit der Kindheit können Probleme in Stein graviert werden, die die Betroffenen durch die ganze Kindheit begleiten und zu einem Leben in Diskriminierung, Frustration und Hoffnungslosigkeit verurteilen“, erklärt Guterres. „Keines unserer Kinder sollte staatenlos, alle Kinder sollten zugehörig sein.“

Brennpunkt Syrien

Angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise gewinnt das Thema Staatenlosigkeit zusätzlich an Brisanz. Besonders gravierend ist das Problem nämlich in Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien. Syrische Kinder können nur über ihren Vater einen syrischen Pass erhalten. Dies ist in vielen Fällen nicht gewährleistet, weil die Väter von Neugeborenen geflüchtet sind. Nachdem inzwischen mehr als vier Millionen Syrer auf der Flucht sind, veranschlagt das UNHCR den Anteil der Kinder syrischer Eltern, die nicht mehr registriert werden können, auf etwa 25 Prozent.

Das UNHCR fordert, Gesetze abzuschaffen, die Menschen ohne Nationalität den Zugang zu staatlichen Leistungen verwehren. Jedes Land soll für Kinder eine Möglichkeit schaffen, die Staatsangehörigkeit des Landes ihrer Geburt zu erhalten, sofern sie ansonsten staatenlos bleiben würden. Die Gesetze sollen so gestaltet werden, dass die Staatsangehörigkeit ebenso über die Mutter wie über den Vater weitergegeben werden kann.

2024 soll Staatenlosigkeit Geschichte sein

Die Vereinten Nationen hatten Ende 2014 das Ziel ausgegeben, das Problem der Staatenlosigkeit bis zum Jahr 2024 aus der Welt zu schaffen. Zumindest für Europa geht man davon aus, dass die Ziele eingehalten werden können. Die meisten europäischen Staaten haben nur niedrige Zahlen von Staatenlosen, in Österreich sind es Schätzungen des UNHCR einige tausend staatenlose Frauen, Männer und Kinder. (ema, AFP)

Stichwort: Staatenlosigkeit

Unter Staatsangehörigkeit versteht man einen gesetzlich geregelten Bund zwischen einer Person und einem Staat, wodurch für beide Seiten sowohl Rechte als auch Pflichten in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht entstehen - wie zum Beispiel das Wahlrecht oder die Wehrpflicht. Staatenlose Frauen, Männer und Kinder können jedoch kein Land offiziell als ihre Heimat bezeichnen. Dieser Umstand bewirkt, dass sich Staatenlose praktisch im "rechtsfreien Raum" befinden, denn sie werden durch nationale Gesetze nicht ausreichend geschützt. Im schlechtesten Fall haben Staatenlose nicht einmal Zugang zu Bildung oder zum Arbeitsmarkt. Sie dürfen nicht frei reisen und sind von der politischen Teilnahme, aber auch von grundlegenden Sozialleistungen eines Staates ausgeschlossen.

Dass ein Mensch staatenlos ist kann viele Ursachen haben. So kann bereits ein neugeborenes Kind staatenlos sein, da nicht alle Länder Kinder bei der Geburt automatisch registrieren. Kinder staatenloser Eltern beginnen ihr Leben ebenfalls als Staatenlose. Zusätzlich gibt es verschiedene Gründe, weshalb man eine vorhandene Staatsbürgerschaft verlieren kann: Staatsauflösungen, Gebietsabtretungen, "Treueverletzungen" gegenüber dem Staat, manchmal sogar Heirat bzw. Scheidung oder auch die willkürliche Entziehung der Staatsbürgerschaft. Theoretisch kann man auf seine Staatsbürgerschaft auch freiwillig verzichten. (Quelle: UNHCR)