Innsbrucker Premierentage: Kunst made in Tirol
Die Premierentage entpuppen sich heuer vor allem als konzentrierter Blick auf das aktuelle Kunstschaffen in Tirol. Das hat durchaus auch viel zu bieten, wie ein erster Rundgang zeigt.
Von Ivona Jelcic
Innsbruck –An Grenzzäunen entfachen sich derzeit allerhand europäische Debatten, kein Wunder also, dass man Katharina Cibulkas durch den Kunstraum Innsbruck gebaute Barriere instinktiv mit der Flüchtlingsthematik assoziiert. Hinter der sich aufdrängenden „Tagesaktualität“ tritt aber auch die skulpturale Qualität der aus verwitterten Lerchenholzschindeln gebauten, zwanzig Meter langen Grenze zutage. In der die eigentlich aus dem Bereich der Videokunst kommende Innsbruckerin auch einen Verweis auf die Geschichte des Kunstraums versteckt: Der Zaun verläuft quasi durch die Mauer hindurch bis in jenen Teil der Galerie Thoman, der einst zum Kunstraum gehörte, bevor dessen prekäre finanzielle Situation eine Verkleinerung erfordert hat.
Der Fokus des Kunstraum-Programms liegt eigentlich eher auf dem internationalen zeitgenössischen Kunstgeschehen. Im Rahmen der heute startenden Premierentage aber wird hier eine Gruppenschau von sieben Tiroler Künstlerinnen und Künstlern eröffnet: „set in motion“ heißt sie und bildet den Auftakt zu einer Reihe von Aktivitäten zum 20. Kunstraum-Geburtstag, der 2016 ansteht. Die Bedingungen vor Ort und die Beziehungen zur örtlichen Szene stehen nicht zufällig am Anfang des Jubiläumsprogramms: Denn ohne sie, sagt Kunstraum-Leiterin Karin Pernegger, würde auch keine solche Einrichtung entstehen und sich weiterentwickeln.
Also gibt man mit „set in motion“ nun querschnittartig Einblick in das vielseitige Schaffen einer jüngeren Künstlergeneration, die in Tirol beheimatet oder auch wieder hierher zurück gekehrt ist wie Benjamin Zanon. Der 1981 geborene Lienzer hat gerade sein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf abgeschlossen, in seinen Tuschezeichnungen meint man zunächst sorgfältig kartografierte Wegenetze zu erkennen, doch sie entpuppen sich als Kopfgeburten, die sich auf dem Papier zu organisch wirkenden Wundern der Verdichtung auswachsen. Skulpturales zeigt neben Cibulka etwa auch Florian Hafele mit streng geometrischen Raumkörpern auf dünnen Stahlrohrbeinen, eine von Maria Peters aus Ölbildern, Zeichnungen und Wand-Texten collagierte Erzählung führt mit Künstlerinnen Klonen in apokalyptische Szenerien und technoide Zukünfte. Christoph Raitmayr wiederum hat seine ebenso geheimnisvollen wie faszinierenden Erzählkulissen aus Fundstücken, Fotografien und detailreich gebauten Modellen diesmal nicht auf Sockel, sondern auf nachgebaute Paletten gestellt, Heidi Holleis’ ursprünglich für eine Installation im Innsbrucker Dom gemachtes Aschekreuz macht sich frei vom klerikalen Kontext, aber nicht von den existenziellen Fragen, die mit der Materialität auch in den abstrakten Arbeiten der Malerin einhergehen und Christoph Hinterhubers haucht der Techno-Kultur in der Soundinstallation „Mono Hole“ eine Portion Dadaismus ein.
Sowohl Holleis als auch Hinterhuber trifft man bei diesen Premierentagen auch andernorts wieder. Erstere zusammen mit Ernst Trawöger in der Kulturbackstube Die Bäckerei, Zweiteren in der Galerie A4 in der Angerzellgasse, wo man Hinterhuber einmal mehr als Sammler und Sampler von Zeichen, aber auch als konzeptuellem Maler begegnet: „Alpiner Algorithmus“ nennt sich diese Serie, in der ein blaues Rechteck auf weißem Grund auf seine Tauglichkeit als codierte Winterberglandschaft hin durchdekliniert wird. Alfons Walde für Konstruktivisten sozusagen – allerdings mit einer Ausnahme: Den Steilhang fährt man in diesem analytischen Bildsystem in 58-gradigem Rot.
Tiroler Kunst auch an vielen anderen Schauplätzen der heute beginnenden Premierentage: Nora Schöpfers Spiel mit Fragment und Wahrnehmung etwa im artdepot, wo sich vermeintliche Farbflecken auch zu in Vasen gefangenen Farbsträußen materialisieren können. In die Innsbrucker styleconception dagegen haben Klaus Bartl, Franz Brunner, Günter Gstrein und Ian Sand eine hellblaue WOLQE gehievt, die – als scheinbar tonnenschwerer Monolith im Raum schwebend – raffiniert mit Abstraktion, Schwere und Leichtigkeit spielt.
Wieder woanders wird mithilfe der Kunst eher an gesellschaftspolitischen Themen gekratzt: Teile von Stephan Pirkers mobiler Plattform „Fair Dreht“ gegenüber dem Kunstraum kooio am Inn wurde gestern zwar behördlich einiger Bestandteile beraubt, für Flüchtlinge gerudert werden kann trotzdem: Das bringt nicht nur Spendengelder, sondern führt auch einigermaßen drastisch das vor Augen, was sich derzeit im Mittelmeer abspielt. Das Kunstkollektiv Wildwuchs ruft indes in der HTL Galerie zur „Courage“ auf.
Die Premierentage laufen bis Samstag, 7. November.