Annäherung oder „Ausverkauf“? - Taiwanesen fürchten das starke China

Peking/Taipeh (APA/dpa) - Es ist vertrackt: Wo verläuft die Grenze zwischen willkommener Annäherung und „Ausverkauf“? Das erste Treffen der ...

Peking/Taipeh (APA/dpa) - Es ist vertrackt: Wo verläuft die Grenze zwischen willkommener Annäherung und „Ausverkauf“? Das erste Treffen der beiden Präsidenten von China und Taiwan nach sechs Jahrzehnten ist zwar erstmal ein historischer Durchbruch, weil es die Spannungen zwischen beiden Kontrahenten verringern kann.

Doch viele Taiwanesen fürchten, dass mit jedem Schritt, den die Regierungen in Taipeh und Peking aufeinander zugehen, ihre Demokratie, Freiheit und Eigenständigkeit ein Stück weiter in Gefahr geraten. Die Ankündigung des am Samstag auf neutralem Boden in Singapur geplanten Treffens von Staats- und Parteichef Xi Jinping mit Präsident Ma Ying-jeou löste in Taipeh auch sofort Proteste aus. „Setzt Ma Ying-jeou ab!“ oder „Kein Ma-Xi-Treffen!“, rief Anführer Huang Kuo-chang, der 2014 an der Spitze der „Sonnenblumenbewegung“ gegen die Annäherungs- und Handelspolitik mit Festlandchina stand.

Schwaches Wirtschaftswachstum und ausbleibende Lohnsteigerungen lassen viele der 23 Millionen Taiwanesen daran zweifeln, dass ihnen die versprochenen Früchte der rasant gewachsenen Kooperation zwischen beiden Seiten wirklich zugutekommen. Auch ist das Misstrauen in der demokratischen Gesellschaft Taiwans gegenüber der mächtigen kommunistischen Diktatur auf dem Festland unverändert groß. Immerhin zielen weiter rund 1.000 Raketen auf die Insel.

Auch ihrem Präsidenten von der nationalchinesischen Kuomintang trauen sie nicht mehr über den Weg. Ihm wird eine „geheime Diplomatie“ unterstellt, die Taiwan an die Kommunisten verrate, wie es heißt. Seine Popularität ist in den Keller gerutscht. Er kann nach zwei Amtszeiten zwar nicht mehr antreten, aber seine Partei steckt mit ihm tief in der Krise. Bei der Wahl im Jänner wird ein Machtwechsel zur oppositionellen Fortschrittspartei DPP erwartet.

Während die Fortschrittspartei DPP aus der Unabhängigkeitsbewegung stammt und für stärkere Eigenständigkeit Taiwans steht, hält die Kuomintang wie die Kommunisten an der Idee einer Wiedervereinigung fest - wenngleich unter freiheitlichen Vorzeichen.

Viele auf der Insel sehen sich aber längst nicht mehr als Chinesen - sondern stolz als „Taiwanesen“, die sich ihre Demokratie selbst erstritten haben. Das Hongkonger Modell „ein Land, zwei Systeme“ lehnen sie ab, weil sie - nach den Erfahrungen in der früheren britischen Kronkolonie zu Recht - um ihre Freiheit fürchten müssen.

Schon lange hatte sich Ma Ying-jeou ein formelles Treffen mit Xi Jinping gewünscht. Pekings Kehrtwende, ihm als Führer einer „abtrünnigen Provinz Chinas“ diese Ehre zuteilwerden zu lassen, lässt sich mit einer flexibleren Außenpolitik erklären, vielleicht aber auch mit Wahlhilfe: Die Kuomintang soll als Garant stabiler Beziehungen präsentiert werden.

„Wenn die Kuomintang gewinnt, ist die Zukunft sicherer - und wenn die DPP siegt, eher unsicher“, sagt Professor Jia Qingguo von der renommierten Peking Universität. „Wenn wir der Kuomintang helfen können, die Wahl zu gewinnen, wird es für Festlandchina von Vorteil sein.“ Die Unterstützung könnte aber auch nach hinten losgehen, weil Taiwans Wähler keinen Stellvertreter Pekinger Interessen wollen und dann eher für die DPP-Kandidatin Tsai Ing-wen stimmen könnten.

„Sehr viele Beliebtheitspunkte wird Ma Ying-jeou mit diesem Manöver für seine Partei im Wahlkampf nicht sammeln können - und das weiß auch Peking“, meinte Johannes Buckow vom China-Institut Merics in Berlin. „In Singapur gibt Peking seine eigene Stimme für die Präsidentenwahl ab“, sagte der US-China-Experte Gordon Chang. „Der Schritt wird möglicherweise nicht dazu führen, einen Sieg von Tsai Ing-wen zu verhindern, aber die Chinesen haben keine andere Möglichkeit mehr - abgesehen von der Androhung militärischer Gewalt.“

Für die USA zählen vor allem Sicherheitsinteressen. Taiwan ist ein alter Konfliktherd, der heute noch zu einer Auseinandersetzung zwischen der Supermacht USA und der aufstrebenden Militärmacht China führen kann. Beide Mächte reiben sich gerade ohnehin wegen umstrittener Inseln im Südchinesischen Meer, aber eine gewaltsame Wiedervereinigung würde die USA zweifellos in einen Krieg mit China ziehen, weil sie sich Taiwans Verteidigung verpflichtet fühlen.

„Die Vorteile, die stabile und positive Beziehungen über den Meeresweg der Taiwanstraße für beide Seiten, die USA und die Region gebracht haben, sind enorm“, sagte die Sprecherin des US-Außenamtes in Washington und rief beide zu einem „konstruktiven Dialog“ auf.