Enthüllungsbuch

„Krieg“ im Vatikan: Intrigen, Wanzen, Geldverschwendung

Glaubt man Nuzzis Ausführungen, tobt zwischen dem Papst und Mitgliedern der Kurie ein Machtkampf. Franziskus bemüht sich um mehr Transparenz in den kirchlichen Finanzen - und ist dadurch angeblich einigen Kardinälen ein Dorn im Auge.
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Desaströse Finanzen im Kirchenstaat und ein zäher Machtkampf zwischen Papst Franziskus und Reformgegnern in der römischen Kurie: Das neue Vatikan-Enthüllungsbuch des italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi birgt reichlich Zündstoff. Steht der Vatikan vor einem neuen Skandal?

Rom – Misswirtschaft und intransparente Finanzen, Geldverschwendung und Machtmissbrauch, Privilegien und Intrigen, Einbrüche in Büros und Abhöraktionen mit Wanzen – wenn stimmt, was der italienische Journalist Gianluigi Nuzzi in seinem neuen Buch „Alles muss ans Licht – Das geheime Dossier über den Kreuzweg des Papstes“ (Ecowin-Verlag) schreibt, dann steckt der Vatikan mitten in einem neuen Skandal.

Kirchenstaat am Abgrund?

Nuzzi zeichnet auf Basis geheimer Sprachaufzeichnungen, Sitzungsprotokolle, Gutachten und weiterer Dokumente das Bild eines finanziell am Abgrund stehenden und außer Kontrolle geratenen Kirchenstaates und schreibt von einem „Krieg im Vatikan, der bis heute andauert und in den Hinterzimmern der vatikanischen Paläste geführt wird“.

Wie in der weltlichen Sphäre geht es auch hier um Geld. Als Franziskus im März 2013 zum Papst gewählt wird, steht es um die Finanzen des Vatikan nicht gut. Die römische Kirchenverwaltung ging über Jahre hinweg wirtschaftlich völlig sorglos um. Der Papst will die verkrusteten Machtstrukturen in der Kurie aufbrechen, „Licht in die Finanzen des Vatikan bringen und sie transparenter machen“, zitiert Nuzzi den Heiligen Vater aus einer internen Sitzung mit Kardinälen. „Sämtliche Kosten sind außer Kontrolle“, so der Papst. Und: „Die Lage ist unvorstellbar ernst.“

Der Papst setzt daher die sogenannte Cosea-Kommission ein, die Päpstliche Kommission zur Untersuchung der Wirtschafts- und Finanzorganisation des Heiligen Stuhls. Sie soll die kirchlichen Finanzen kontrollieren und prüfen. Günstlingswirtschaft, die zu einer unmäßigen Zunahme beim Personalbestand des Vatikan geführt hat, die mangelnde Transparenz bei Ausgaben und Abläufen, ungenügende Kontrollen bei Lieferantenverträgen, Ineffizienz und Privilegien bei der Bewirtschaftung der Vatikan-Immobilien, mangelhafte Aufsicht und zu hohe Risiken bei den Kapitalanlagen des Vatikan und vieles mehr steht auf der Agenda der Revisoren.

Millionenskandal um „Peterspfennig“

Bereits im Sommer 2013 lässt die Cosea-Kommission wegen gravierender Abrechnungsmängel bei den Selig- und Heiligsprechungsprozessen rund 400 Girokonten bei der Vatikanbank sperren und 40 Millionen Euro einfrieren. Danach deckt die Kommission laut Nuzzi einen weiteren Skandal auf: Es geht um die Verwendung des „Peterspfennigs“. Diese Kirchen-Kollekte wird jedes Jahr am 29. Juni zu Peter und Paul gesammelt. 2012 kamen aus dem „Peterspfennig“ 53,3 Millionen Euro. Die Spenden haben karitativen Charakter und sollten eigentlich für kirchliche Hilfswerke, humanitäre Aufgaben und zum Teil auch zur Unterstützung einiger Aktivitäten des Heiligen Stuhls verwendet werden, wie es auf der Website des Vatikan heißt.

Tatsächlich fließen von jedem Euro, der an den Heiligen Vater geht, aber gerade einmal 20 Cent in konkrete Hilfsprojekte, heißt es in Nuzzis Buch. Grund dafür ist die desaströse Finanzlage der Kurie, des römischen Verwaltungsapparats der katholischen Kirche. „Geld, das Katholiken aus der ganzen Welt nach Rom schicken, um damit karitative Aufgaben zu finanzieren, gelangt nicht zu den Armen, sondern wird benutzt, um die Finanzlöcher der Kurie zu stopfen“, schreibt der italienische Journalist.

Aus Österreich gehen unter dem Titel des „Peterspfennig“ jährlich 872.000 Euro an den Vatikan. Da die „Peterspfennig“-Spendeneinnahmen im Rahmen der Sonntags-Kollekte von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich ausfielen, habe hat sich die österreichisches Bischofskonferenz entschlossen, „den Spendenertrag auf österreichweit 872.000 Euro pro Jahr aufzustocken. Dies dient dazu, dass der Vatikan jährlich mit einem gesicherten finanziellen Beitrag aus der Kirche in Österreich rechnen kann“, hieß es dazu auf Anfrage aus der Bischofskonferenz. Der Großteil der 872.000 komme aus der Kollekte, der Rest aus den Budgets der österreichischen Diözesen. Ansonsten gebe es keine kirchlichen Zahlungen aus Österreich für das Vatikan-Budget.

Luxuriöse Gratiswohnungen für Kardinäle

Ein Teil dieser Gelder werde etwa für „Luxuswohnungen im Herzen der Ewigen Stadt“ ausgegeben. „Kurienkardinäle wohnen in geradezu fürstlichen Behausungen mit 400, 500, manchmal 600 Quadratmeter Nutzfläche. Und zwar allein, bestenfalls mit zwei oder drei Missionsschwestern, bevorzugt aus Entwicklungsländern, die ihnen den Haushalt führen, für sie kochen, putzen oder als Hilfspersonal fungieren.“ Nuzzi zeigt eine Tabelle mit vielen Namen prominenter Kardinäle und der Nutzfläche ihrer Wohnungen, bei denen es sich oftmals um sogenannte „Nullmieten“ handelt. Die Kardinäle wohnen also umsonst, zahlen weder Miete noch Nebenkosten.

Der Papst gibt sich bescheidener: Franziskus bewohnt nach wie vor ein knapp 50 Quadratmeter großes Zimmer im Gästehaus Santa Marta.

Die Cosea-Kommission bringt weitere Unregelmäßigkeiten ans Licht: Ein enormes Immobilienvermögen, von dem niemand weiß, wie viel es wirklich Wert ist, weil es keine vollständige Bestandsaufnahme gibt, und – abgesehen von den „Nullmieten“ – auch noch unzählige Wohnungen, die unter Marktwert vermietet werden. Bei der Überprüfung von vatikanischen Körperschaften tauchen plötzlich 94 Millionen Euro auf, die in den Jahresabschlüssen nicht erfasst sind. Geldanlagen in Höhe von zehn Milliarden Euro sind beachtlichen Risiken ausgesetzt. Im Portfolio der APSA, der Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls, die auch eine Art Zentralbank des Vatikan ist, orten die Prüfer etwa wegen mangelnder Diversifikation ein erhöhtes Wertverlustrisiko. In der vatikanischen Pensionskasse gibt es ein Finanzloch von 800 Millionen Euro. Bei einer Inventur von Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten im Vatikan fehlen Waren im Wert von 1,6 Millionen Euro, und die Kommission stellt überhöhte Ausgaben für Bau- und Handwerksarbeiten sowie Indizien für Steuerhinterziehung gegenüber Italien fest. Dazu kommen Rabatte und Vergünstigungen für Kardinäle und Mitarbeiter bei Lebensmitteln, Zigaretten, Bekleidung und Sport.

Franziskus‘ „unvollendete Revolution“

Die Prüfer und Revisoren verweigern schließlich den Sanktus zum geplanten Budget für 2014. Auch Papst Franziskus hat offenbar genug. Er kürzt Beraterverträge und verfügt einen Einstellungsstopp, um die Personalkosten zu senken. Im Februar 2014 ernennt er den australischen Kardinal George Pell zum Präfekten des neuen Wirtschaftssekretariats, quasi ein Super-Wirtschaftsministerium, das vom bisher zuständigen Staatssekretariat die Kontrolle über die außer Rand und Band geratenen Vatikan-Finanzen übernehmen soll. Zugleich organisiert er die Kurie neu und ersetzt den 15-köpfigen Kardinalsrat durch einen neuen Wirtschaftsrat, dem künftig neben acht Kardinälen auch sieben Laien bzw. Fachexperten aus dem Bereich Wirtschaft und Finanzen angehören sollen, was im Vatikan einer Revolution gleichkommt.

Die Kurien-Bürokratie leistet gegen die Arbeit der Cosea-Kommission laut Nuzzi monatelangen Widerstand: Unterlagen werden nicht oder verspätet geliefert, während der Untersuchungen der Prüfer gibt es einen geheimnisvollen Einbruch in Teile des Archivs der Kommission, lancierte Indiskretionen über die Prüfer und die Reformer, im März 2015 werden in Büros des Heiligen Stuhls sogar Abhörwanzen entdeckt. Nuzzi spricht von psychologischer Kriegsführung der Reformgegner. „Die Kurie steht den Vorgaben des neuen Papstes ganz augenscheinlich gleichgültig, wenn nicht ablehnend gegenüber.“ Ein Zustand, der laut Nuzzi bis heute andauere. „Die Führungskader im Vatikan behindern und zerfasern Pells und Bergoglios Pläne und bremsen sie aus, in der Überzeugung, der Verschleiß werde jede Neuerung auflaufen lassen und an der Glaubwürdigkeit eines Papstes zehren, der Großes ankündigt, aber dann zusehen muss, wie seine Vorhaben in den Korridoren der Paläste erlahmen.“

Nuzzi nennt es eine „unvollendete Revolution“ des Papstes. Franziskus habe die Kurie in einem „verkommenen Zustand“ vorgefunden und übernommen: „Gezeichnet von Trägheit, Skandalen, Bereicherung, üblen Machenschaften und undurchsichtigen Interessen. Eine Kurie, auf die man sich nicht verlassen kann, die Benedikt XVI. zum Rücktritt gebracht und viele Gläubige der Kirche entfremdet hat.“ Trotzdem konnten nur wenige der geprüften Reformen bisher wie angekündigt umgesetzt werden. Nuzzi: „Man hat viel analysiert und wenig erreicht. Bergoglios Manöver zur Vertreibung der Händler aus dem Tempel ist auch drei Jahre nach seiner Wahl noch nicht abgeschlossen.“ (APA, tt.com)