Stammzellforscher Wernig: Nicht leicht, Natur Geheimnis zu entreißen

Stanford (Kalifornien) (APA) - Dem aus Österreich stammenden Stammzellforscher Marius Wernig ist es vor fünf Jahren erstmals gelungen, mensc...

Stanford (Kalifornien) (APA) - Dem aus Österreich stammenden Stammzellforscher Marius Wernig ist es vor fünf Jahren erstmals gelungen, menschliche Hautzellen direkt in Nervenzellen zu verwandeln - ohne Umweg über Stammzellen. Die APA sprach mit dem seit 2008 an der Universität Stanford (USA) tätigen Forscher, der nächstes Jahr wieder einige Monate in Österreich arbeiten will, über bisherige Erfolge und weitere Ziele.

APA: Vor knapp zehn Jahren entdeckte Shinya Yamanaka, dass bereits ausgereifte Körperzellen wieder in Stammzellen zurück verwandelt werden können, in sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS). Seither wird weltweit intensiv daran geforscht. Versteht man iPS-Zellen mittlerweile?

Marius Wernig: Die reprogrammierten Zellen versteht man relativ gut, weil die ja praktisch ident zu embryonalen Stammzellen (ES) sind. Was man noch nicht so gut versteht, ist der Prozess, wie etwa eine Hautzelle in eine iPS-Zelle umprogrammiert wird, auch wenn man schon viel mehr weiß als damals.

APA: Es ist schon unglaublich, dass Sie es schaffen, eine fertig ausgereifte Hautzelle binnen zwei Wochen einfach um 180 Grad umzudrehen und wieder zu einer Stammzelle oder sogar direkt zu einem Neuron zu verwandeln.

Wernig: Und noch faszinierender ist, dass es so einfach geht. Wir geben einfach zwei, drei, vier Transkriptionsfaktoren dazu, die irgendwie mit dem Genom interagieren und die Zelle dramatisch ummodulieren und alles auf den Kopf stellen.

APA: Was sind diese Transkriptionsfaktoren?

Wernig: Das sind kleine Moleküle, die im Prinzip in der Lage sind, ganze Gen-Programme anzuschalten, wie zum Beispiel das Programm eine Nervenzelle zu werden. Normalerweise sind diese Faktoren aber stark von anderen Zelltyp-spezifischen Dingen beeinflusst und können diese Programme nur im richtigen Kontext aktivieren. Daher ist es so faszinierend, dass die Faktoren, die wir gefunden haben, sogar in Hautzellen funktionieren. Es muss sich also um Transkriptionsfaktoren mit ganz besonderen und ungewöhnlichen Eigenschaften handeln.

APA: Auch wenn es so einfach geht - der ganze Prozess ist offenbar sehr komplex?

Wernig: Ja, man wirft den Prozess mit einem ganz einfachen Eingriff an und dann passiert irgendetwas magisches, eine Black Box.

APA: Ist es tatsächlich noch völlig dunkel in der Box?

Wernig: Wir haben schon einige Einsichten, wie diese Transkriptionsfaktoren funktionieren, aber trotzdem - von dem ganzen Prozess verstehen wir vielleicht zehn Prozent.

APA: Und Sie wollen die restlichen 90 Prozent entschlüsseln?

Wernig: Wir haben uns auf die frühesten Stadien konzentriert und schauen uns an, was in den ersten 48 Stunden passiert, nachdem man die Transkriptionsfaktoren in die Hautzellen eingebracht hat. Und da hat sich zu unserer Überraschung gezeigt, dass die direkte Umprogrammierung von Hautzellen in Neuronen ganz anders funktioniert als jene von Hautzellen in iPS. Überraschend war auch, dass die Umprogrammierung von Hautzellen in Neuronen viel, viel effizienter ist als jene in iPS-Zellen.

APA: Was bedeutet hier Effizienz?

Wernig: Bei Mauszellen liegt die Effizienz bei 20 Prozent, das heißt aus 100 Hautzellen werden ungefähr 20 Neuronen. Bei den iPS-Zellen ist es nur etwa ein Prozent.

APA: Sie können also mithilfe verschiedener Transkriptionsfaktoren bestimmen, ob aus einer Hautzelle ein Neuron oder eine Herzzelle wird.

Wernig: Genau. Das ist ein bisschen wie plug and play. Wir lesen das Textbuch der Entwicklungsbiologie und wenden diese Informationen auf unsere Reprogrammierungsstrategien an, und das funktioniert ganz gut.

APA: Aber wie exakt können Sie das steuern, es gibt ja nicht nur eine Neuronen-Art?

Wernig: Richtig, aber wir haben schon einige Erfolge zu verzeichnen, ganz spezifische neuronale Subtypen herzustellen. Während der Hirnentwicklung werden die verschiedenen Subtypen von jeweils anderen Transkriptionsfaktoren bestimmt. Wir konnten zeigen, dass gewisse Kombinationen solcher subtypen-spezifischen Faktoren in der Tat auch aus Hautzellen genau diese Subtypen machen.

APA: Wenn Sie sich auf die ersten 48 Stunden der Umprogrammierung konzentrieren - welche Informationen fehlen Ihnen da noch?

Wernig: Es gibt jetzt neue Methoden, mit deren Hilfe man genomweite Analysen sogar auf der Einzelzellebene machen kann. Bisher brauchte man dafür Millionen Zellen. Das hat einen wichtigen Durchbruch in unserer Forschung bedeutet, weil wir nun die Zellheterogenität messen und genau beurteilen können, wie die einzelnen Zellen reprogrammieren. So sind wir nicht mehr auf Mittelwerte von vielen Zellen angewiesen. Zum Beispiel zeigte sich mit diesen neuen Analysemethoden, dass nach 48 Stunden noch mehr als zwei Drittel der Zellen sehr homogen auf die Reprogrammierungsfaktoren reagieren und auf dem „richtigen“ Weg sind. Dennoch sind nach zwei Wochen aber nur 20 Prozent der Zellen umprogrammiert. Mechanistisch gesehen, muss daher nach den ersten 48 Stunden in vielen Zellen irgendetwas schief gehen - was das ist, wissen wir noch nicht.