Stammzellforscher Wernig 2 - Therapien „erst der übernächste Schritt“
Stanford (Kalifornien) (APA) - APA: Was ist nun ihr Ziel?...
Stanford (Kalifornien) (APA) - APA: Was ist nun ihr Ziel?
Marius Wernig: Wir wollen die Effizienz auf 100 Prozent hinaufbringen. Und ich glaube nicht, dass das unrealistisch ist. Aber wir machen das sehr systematisch, wir machen eins nach dem anderen und das dauert halt ein bisschen. Mutter Natur ein Geheimnis zu entreißen ist nicht leicht.
APA: Wozu wollen Sie 100 Prozent Effizienz?
Wernig: Aus zwei Gründen. Einerseits klingen 20 Prozent zwar gut, aber das ist immer noch die Minderheit in der Zellkulturschale, Wenn man diese Zellen tatsächlich für die Modellierung von Krankheitsprozessen verwenden will, ist es nicht so günstig, dass 80 Prozent andere Zellen mit dabei sind. Andererseits wollen wir den Mechanismus besser verstehen und es ist faszinierend, warum nicht alle Zellen umprogrammiert werden, obwohl sie gleich ausschauen, wir sie gleich behandeln und sie eigentlich das gleiche Potenzial haben sollten. Die Frage ist, warum es 80 Prozent nicht machen, was läuft da falsch?
APA: Sie sprechen von Modellierung von Krankheitsprozessen. Können Sie die umprogrammierten Zellen bereits dafür einsetzen?
Wernig: Wir haben eine interessante Beobachtung gemacht: Wenn man das gleiche Rezept, mit dem man Hautzellen in Neuronen umprogrammiert, an embryonalen Stammzellen oder induzierten pluripotenten Stammzellen anwendet, hat man eine fantastisch gute Umwandlung in Neuronen. Und aus irgendwelchen Gründen funktioniert das insbesondere bei humanen Zellen sehr gut. Mit beinahe 100 Prozent Effizienz haben wir innerhalb von zwei Wochen voll ausgereifte Neuronen mit allen funktionellen Parametern.
Nachdem es ja sonst kaum experimentellen Zugang zu humanen Neuronen gibt und die Qualität unserer Neuronen so hoch ist, haben wir jetzt angefangen, sehr genau nachzuschauen, was in Erkrankungsprozessen vor sich geht, und versuchen, das in der Kulturschale zu rekapitulieren. Das könnte schließlich zu neuen Therapieansätzen führen.
APA: Direkte therapeutische Anwendungen interessieren Sie nicht?
Wernig: Das ist erst der übernächste Schritt, insbesondere mit Neuronen. Wenn man sich vorstellt, wie kompliziert das Gehirn ist, wie viele Verschaltungen es gibt, wie viele Synapsen ein Neuron mit anderen Neuronen macht, dann ist das nicht trivial, so etwas zu regenerieren.
Es gibt aber eine Ausnahme, die Parkinson-Erkrankung, wo es gute Hinweise gibt, dass es therapeutische Effekte von transplantierten Neuronen gibt. Und bei anderen Zelltypen im Gehirn sehe ich schon früher mehr Potenzial. Zum Beispiel bei sogenannten Oligodendrozyten, das sind Glia- oder Stützzellen im Gehirn, deren Hauptaufgabe es ist, die Axone, also sozusagen die Leitungen, mit Myelin zu isolieren - eine Funktion, die bei Multipler Sklerose (MS) degeneriert. Deren Aufgabe ist im Vergleich zu jener der Neuronen relativ einfach. Wenn wir es in Hinkunft schaffen könnten, Zellen herzustellen, die äquivalent zu endogenen Oligodendrozyten sind, könnte deren Transplantation eine sehr attraktive neue Form der Therapie für eine Reihe von neurologischen Erkrankungen sein, die das Myelin betreffen. An diesem Projekt arbeiten wir hier sehr aktiv.
APA: Wie stark ist die Konkurrenz in dem Feld, in dem Sie arbeiten - ich erinnere an den Skandal um die angebliche Zellverjüngung im Säurebad durch japanische Forscher im Vorjahr?
Wernig: Es gibt immer schwarze Schafe, leider auch unter Wissenschaftern, die auch nur Menschen sind. Nachdem es in den letzten Jahren immer schwieriger geworden ist, Forschungsgelder einzuwerben und der Druck auf Produktivität steigt, lassen sich leider manche dazu verleiten, Daten zu fälschen. Zum Glück sind das aber nur sehr wenige und in vielen Fällen kommt man diesen Betrügern recht schnell auf die Schliche.
APA: Und der Konkurrenzkampf wogt offensichtlich auch zwischen den Fachjournalen, wenn solche Arbeiten publiziert werden?
Wernig: Stimmt, das ist eine komische Dynamik.
APA: Sie wollen nächstes Jahr wieder einige Monate in Österreich arbeiten - wo und warum?
Wernig: In Österreich gibt es hervorragende Forschungseinrichtungen, wie zum Beispiel der Campus in der Dr. Bohr Gasse in Wien mit dem IMP und IMBA (Institut für molekulare Pathologie und Institut für molekulare Biotechnologie, Anm.), meiner Meinung nach einer der besten biomedizinischen Wissenschaftsstandorte in Europa. Dort gibt es zwei Forschungsgruppen, jene von Josef Penninger und Jürgen Knoblich, die ganz neuartige Anwendungsbereiche in der Stammzellbiologie geschaffen haben. Ich verspreche mir von einem mehrmonatigen Forschungsaufenthalt dort eine engere Zusammenarbeit unserer Gruppen und eine gegenseitige Befruchtung, die möglicherweise zu ganz neuen Erkenntnissen führen wird. Außerdem freuen wir uns immer in Österreich zu sein.
(Das Gespräch führte Christian Müller/APA)