René Girard ist tot: Ein Nachruf
„Das Heilige und die Gewalt“: zum Tod des Religionsphilosophen René Girard.
Von Joachim Leitner
Innsbruck –Wenn zwei das Gleiche begehren, ist der Konflikt vorprogrammiert. Was nach der Blaupause einer x-beliebigen Hollywood-Romanze klingt, ist – natürlich unzulässig verkürzt – eine der Kernthesen im umfangreichen Werk des französischen Philosophen René Girard. Girard, geboren am 25. Dezember 1923 im südfranzösischen Avignon, beschäftigte sich mit den unterschiedlichsten Themen. Er untersuchte die Gründungstexte gegenwärtiger Zivilisationen, publizierte über Dostojewski, Shakespeare und Cervantes, forcierte zuletzt eine „kritische Apologie des Christentums“. Und in allen Bereichen, in denen er sich umtrieb, fand er Belege für das, was er „mimetisches Begehren“ nannte. Der grundlegende Gedanke dahinter: Jede Form der Aneignung oder – wenn man so will – des Lernens funktioniert über Nachahmung – und Nachahmung erzeugt Rivalität, ja Gewalt. Wobei eine Gesellschaft nur dann überdauern kann, wenn dieses Potenzial zur Gewalt gezügelt wird. Das hat René Girard in seinen großen, mitunter etwas sperrigen kulturanthropologischen Studien untersucht. Folglich ging es bei ihm immer um alles: Um Gott und die Welt, um „Das Heilige und die Gewalt“, so der Titel seines 1972 erschienenen Hauptwerkes, um Triebe, Tod und Teufel. Und – vor allem – um Sündenböcke.
Großen Einfluss hatte das Denken des lange Jahre an der US-Elite-Uni Stanford lehrenden Girard auf die theologische Theoriebildung. Auch und gerade an der Universität Innsbruck, die sich in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Bezugspunkt in der Girard-Forschung entwickelte. Wolfgang Palavers „René Girards mimetische Theorie“ gilt als deutschsprachiges Standardwerk und unverzichtbarer Begleiter auf dem Weg durch das mitunter verwinkelte Gedankengebäude des „neuen Darwin der Humanwissenschaften“ (Michel Serres).
Am Mittwoch ist René Girard 91-jährig in seinem Haus auf dem Universitätsgelände in Stanford nach langer Krankheit gestorben. Mit ihm sei „einer der führenden Denker unserer Ära“ gegangen, so die kalifornische Universität in einer Aussendung. Auch Frankreichs Präsident François Hollande gedachte gestern des umtriebigen und fraglos streitbaren Denkers: Girard sei ein „freier Mann und Humanist“ gewesen, „dessen Werk Spuren in der Geistesgeschichte hinterlassen wird“.