Kampf-Pfau gegen Löwe: Myanmar wählt
Naypyidaw (APA/dpa) - Es gibt zwar mehr als 90 Parteien und 6.000 Kandidaten bei der historischen Wahl in Myanmar, aber im Grunde zählt nur ...
Naypyidaw (APA/dpa) - Es gibt zwar mehr als 90 Parteien und 6.000 Kandidaten bei der historischen Wahl in Myanmar, aber im Grunde zählt nur eins: Wird Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi siegen?
Sie sehen martialisch aus, die Anhänger von Aung San Suu Kyi. Die roten Stirnbänder, die Zehntausende bei dem größten Wahlkampfauftritt der Oppositionsführerin in Myanmar tragen, erinnern an fanatische Sektenanhänger oder Schlimmeres. „aMAY SUU, aMAY SUU“ skandieren sie, Mutter Suu, und aus tausenden Kehlen kommend klingt das fast wie „Jesu“. Tatsächlich wird die zierliche Frau wie eine Heilsbringerin verehrt.
Am 8. November finden in dem südostasiatischen Land historische Wahlen statt. Nach fast 50 Jahren Militärdiktatur und fünf Jahren Regierung unter einem Ex-Junta-General in Zivil dürfen rund 30 Millionen Wahlberechtigte frei ihre Stimme abgeben und auf eine Regierung des Volkes hoffen. Freie Wahlen gab es zwar 1990 schon einmal, doch ignorierte das Militär das Ergebnis damals und unterdrückte das Volk brutal. Oppositionspolitikerin Suu Kyi (70) kam 15 Jahre unter Hausarrest.
Die Stimmung bei ihrem Wahlkampfauftritt in der Metropole Rangun ist fantastisch. „Ich spüre es in meinem Herzen“, sagt Han Thein, ein 64-jähriger Pensionist. „Sie ist die einzige, die uns führen kann.“ Khin San Htue (46) ist extra aus der Provinz angereist, um Mutter Suu zu sehen. Sie hat ihren zehnjährigen Sohn dabei. „Sie hat sich für unser Land aufgeopfert“, sagt sie. Dass Suu Kyi unter der Militärjunta viele Jahre unter Hausarrest ertrug und keine Kompromisse machte, findet Khin San Htue überirdisch.
Bei der Wahl treten mehr als 90 Parteien an. Im Grunde geht es aber nur um Suu Kyi. Siegt sie mit ihrer Nationalliga für Demokratie (NLD) oder bleibt die Militärpartei USDP am Ruder? Die NLD tritt in rot mit einem kämpfenden Pfau als Symbol an, die USDP in grün und mit einem weißen Löwen. Die meisten anderen Parteien sind ethnisch geprägt und nur in der Region ihrer Minderheit aktiv.
Die anmutige Suu Kyi peitscht bei ihrem Auftritt die roten Massen auf. „Ich nehme es mit jedem auf, ich habe keine Angst, so lange ihr hinter mir steht“, ruft sie unter tosendem Jubel. „Wir brauchen echten Wandel!“ - das ist der Slogan der NLD. Die USDP kann zumindest in der Hafenstadt Rangun wenig entgegenhalten. In der Innenstadt fahren ab und zu Kleinlaster mit grünen USDP-Fähnchen und Musik durch die Straßen. Die Leute, die auf der Ladefläche sitzen, seien jedoch bezahlt, schreibt die Lokalpresse.
Der hölzern wirkende USDP-Frontmann ist Präsident Thein Sein (70). Er hat das Charisma eines Schreibtischbürokraten, sagt man. Er versucht sich in seinem Heimatort Ngapudaw im Irrawaddy-Delta auch als mitreißender Redner. Nur sitzen die Zuhörer bei ihm meist in Reih und Glied auf Stühlen und hören artig zu. Es sind selten mehr als ein paar hundert. „Wir haben uns von einem Militärregime in eine demokratische Regierung gewandelt“, ruft er. „Was für Wandel ist da noch nötig? Wollt ihr etwa Kommunisten werden?“ Es gibt freundlichen Applaus.
Die Demokratie, die die Junta nach fast 50 Jahren Militärdiktatur 2010 verordnete, darf aber bisher nur „diszipliniert blühen“, so die Vorgabe. Damit hat sich das Militär 25 Prozent der Parlamentssitze reserviert. Damit kann es jede Verfassungsänderung blockieren. Deshalb bleibt auch der Paragraf bestehen, so lange das Militär es will: Suu Kyi bleibt das Präsidentenamt per Gesetz verwehrt, weil ihre Kinder Ausländer sind.
Es geht bei der Wahl jedoch nicht um Rechts und Links. „Die NLD-Wähler wollen nur eins: die USDP loswerden“, sagt der Englischlehrer Aung Soe Min. Der 37-Jährige saß wegen Protesten gegen die Junta sieben Jahre im Gefängnis. Er hat ein Institut für Demokratie gegründet und klärt Wähler, vor allem auf dem Land, jetzt über die Abstimmung auf.
„Die USDP muss weg. Selbst, wenn der NLD-Kandidat in meinem Wahlkreis ein Hund wäre, würde ich für ihn wählen“, sagt Reiseleiter Kyaw Nyein. „Was sind das denn für Leute? Das ist doch die Junta, nur im anderen Gewand.“ Fast alle Minister sind Ex-Militärs. Präsident Thein Sein war Junta-General und von 2007 bis 2011 Regierungschef.
„Diese Regierung ist die beste, die wir je hatten“, sagt aber Ladenbesitzer Nyan Tun Tin (46). Es hat sich ohne Frage viel getan seit 2011. Damals kosteten Handys und SIM-Karten tausende Dollar und waren unerschwinglich. Selbst für Rostlauben brauchte man teure Einfuhrlizenzen. Inzwischen telefoniert jeder mit Smartphone, Autos aller Art verstopfen die Straßen. Die Presse ist freier, ausländische Investitionen sind willkommen und schaffen Arbeitsplätze. Wie Nyan wählt auch die IT-Angestellte Thin Sandar Shwee (27) USDP. „Diese Regierung kann noch viel für uns tun“, sagt sie.
Gerade auf dem Land ist die USDP mit Hilfsprojekten präsent, etwa nach den jüngsten Überschwemmungen. Außerdem wirbt eine nationalistische Mönchsorganisation dort aggressiv um Stimmen für die USDP.
Beide Parteien versprechen ihren Anhängern einen grandiosen Sieg. Umfragen gibt es in dem bitterarmen Land nicht. „Ich halte eine Konstellation von 40-40-20 für wahrscheinlicher“, sagt der Leiter des Büros der Adenauer-Stiftung in Rangun, Thomas Lawo. 20 Prozent der zu vergebenden Sitze traut er den ethnischen Parteien zu.
Der Präsident wird dann im nächsten Jahr vom neuen Parlament gewählt. 40 Prozent der Sitze könnten der NLD reichen, um ihren Kandidaten durchzudrücken, meint Lawo.
„Es kommt nicht so sehr darauf an, wer gewinnt, sondern wie gewonnen wird“, meint Aung Thura (38). Der Banker mit Schweizer Vater und Mutter aus Myanmar wuchs in der Schweiz auf. 2012 ging er in Rangun mit einer Consulting-Firma für in- und ausländische Unternehmen an den Start. Er ist sicher: „So lange die Wahl sauber läuft, geht der Reformprozess weiter, egal, wer Sieger ist.“