Ex-AKP-Politiker: „Türken gaben AKP aus Angst ihre Stimmen“
Istanbul (APA) - Der Wahlsieg der Regierungspartei AKP werde der Türkei dauerhaft keine Stabilität bringen. „Die Wähler haben am Sonntag kur...
Istanbul (APA) - Der Wahlsieg der Regierungspartei AKP werde der Türkei dauerhaft keine Stabilität bringen. „Die Wähler haben am Sonntag kurzfristig gedacht“, sagt der ehemalige AKP-Politiker Suat Kiniklioglu. „Innerhalb der AKP gibt es keinen liberalen Flügel mehr“, so Kiniklioglu im APA-Gespräch. Er ist Direktor des in Ankara ansässigen Zentrums für strategische Kommunikation.
„Die Wähler kennen die Korruptionsvorwürfe gegen die AKP und die autoritären Tendenzen von Präsident Recep Tayyip Erdogan“, dennoch hätten sie sich für die Stabilität entschieden, welche die AKP verspreche. Nach den Parlamentswahlen vom 7. Juni, bei der die AKP die absolute Mehrheit verloren hatte, sei klar gewesen, dass die AKP an keiner Koalitionsregierung interessiert sei.
„Ein ähnliches Ergebnis hätte nun zu einer weiteren Phase politischer Instabilität geführt“, sagt Kiniklioglu. Zudem sei in den letzten fünf Monaten solch eine außergewöhnlich gewalttätige Atmosphäre durch die AKP, den „Islamischen Staat“ (IS) und die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans PKK entstanden, dass die Menschen sich nun nach Ruhe sehnen würden.
Die prokurdische HDP, die am Sonntag Stimmen verloren hat, habe sich nicht nachhaltig genug von der PKK distanziert. „Außerdem hat die Regierung die HDP und die PKK nahezu gleichgestellt, was bei vielen Wählern Wirkung gezeigt hat“, sagt Kiniklioglu. „Sie haben deswegen aus Angst der HDP nicht mehr ihre Stimmen gegeben.“
Der Politologe trat 2007 in die AKP ein, er saß im Parteivorstand, und war Sprecher des Auswärtigen Ausschusses. 2011 hat er die AKP im Streit verlassen, nahm im Sommer 2013 an den landesweiten Gezi-Protesten teil, die sich gegen den Regierungsstil des damals noch als Ministerpräsident amtierenden und heutigen Staatspräsidenten Erdogan richteten. „Erdogan wurde immer autoritärer. Er verlor seinen Reformeifer“, begründet Kiniklioglu seinen Austritt. „Mit diesem Politikstil wollte ich nichts mehr zu tun haben.“
Erdogans AKP hatte bei der Neuwahl am Sonntag die absolute Mehrheit bekommen, die sie im Juni bei der regulären Wahl verloren hatte. Nach dem Wahlsieg pocht Erdogan auf eine Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems, welches ihn mit umfassenden Vollmachten ausstatten würde. Die Partei verfügt nun im Parlament über 317 der 550 Sitze. Für Verfassungsänderungen braucht sie die Stimmen von mindestens 367 Abgeordneten, selbst für ein Verfassungsreferendum wären 330 Stimmen nötig.
Doch die von Erdogan geforderte rasche Verfassungsänderung werde nicht so schnell durchgeführt werden können, wie der Präsident es sich wünsche. „Der Regierung wird es nun vornehmlich darum gehen, die Wirtschaft und die innenpolitische Situation zu stabilisieren, bevor sie dieses Vorhaben umsetzen kann“, sagt der Ex-Politiker. Die Diskussion rund um das Präsidialsystem werde noch länger anhalten.
Die Kritik an der EU-Kommission, die ihren jährlich erstellten Fortschrittsbericht bisher nicht vorgestellt hat, teilt Kiniklioglu. Der EU-Kommission wurde vorgeworfen, einen kritischen Bericht zu den Entwicklungen in der Türkei absichtlich zurückzuhalten, um sich wegen der Flüchtlingskrise das Wohlwollen von Erdogan und der AKP zu sichern. Eine These, die Kiniklioglu unterstützt. Doch habe der zurückgehaltene Bericht kaum Auswirkungen auf das Stimmverhalten der türkischen Wähler gehabt.
Die EU müsse in der Flüchtlingsfrage nun mit einem noch selbstbewussteren Erdogan verhandeln. „Erdogan weiß, welch mächtigen Schlüssel er in der Hand hat“, er werde versuchen, das Beste für die Türkei herausholen, etwa in Form von Finanzen, der Umsetzung der Visafreiheit für türkische Staatsbürger oder der Eröffnung von neuen Beitrittskapiteln.
(Das Gespräch führte Cigdem Akyol/APA)