„Steve Jobs“ - Aaron Sorkin: „Am Ende feuern wir ihn sogar an“
London/Wien (APA) - Ob eine Nachrichtenredaktion in „The Newsroom“ oder das Weiße Haus in „The West Wing“: Der preisgekrönte US-Autor Aaron ...
London/Wien (APA) - Ob eine Nachrichtenredaktion in „The Newsroom“ oder das Weiße Haus in „The West Wing“: Der preisgekrönte US-Autor Aaron Sorkin blickt mit seinen Film- und Seriendrehbüchern oft hinter die Kulissen. Auch dem Apple-Gründer nähert er sich in „Steve Jobs“, seinem zweiten Film über eine Silicon-Valley-Größe nach „The Social Network“, backstage. Der APA nannte der 54-Jährige in London seine Beweggründe.
APA: Herr Sorkin, was fasziniert Sie daran, was hinter den Kulissen berühmter Institutionen oder Unternehmen passiert?
Aaron Sorkin: Alles fasziniert mich daran! Ich liebe es, hinter die Kulissen zu blicken, auch wenn ich nicht genau weiß, warum. Das allererste Mal, dass ich ein Theaterstück gesehen habe, war von der Hinterbühne aus. Ich war vier Jahre alt und der Vater meines Schulfreundes hat am Broadway die Hauptrolle in „Anatevka“ gespielt. Mein Freund und ich waren an diesem einen Sonntag zum Spielen verabredet und aus irgendeinem Grund gab es für eine Stunde kein Elternteil, das auf uns aufpassen konnte. Das Einzige, was sie also mit uns machen konnten, war, uns im Imperial Theatre backstage zu „parken“. Ich erinnere mich daran, wie ich da an der Seite der Bühne gestanden bin, wie hypnotisiert, und einem Schauspieler im Profil zugesehen habe, ohne wirklich zu wissen, was er da tut. Er hat gesungen und um mich herum waren Seile, Kulissen, die auf die Bühne geschoben wurden, und ich war von all dem fasziniert. Genau da hat es wohl begonnen.
APA: Rührt auch die Drei-Akt-Struktur von „Steve Jobs“ von Ihrer früh entdeckten Liebe zum Theater?
Sorkin: Vielleicht, ja! Aber es ist auch darin begründet, dass ich - noch bevor ich wusste, was ich tun wollte - wusste, was ich nicht tun wollte: Ich wollte kein klassisches Biopic schreiben, das von der Wiege bis zum Grab geht, wo man am Weg die „Greatest Hits“ des Protagonisten abhakt wie bei einem Billy-Joel-Konzert. Statt dem „Piano Man“ kommt dann die Garage, in der Apple gegründet wird, und alle applaudieren. Das wollte ich nicht. Also habe ich ziemlich genau das Gegenteil umgesetzt. Als Autor fühle ich mich am wohlsten in engen, klaustrophobischen Räumen, mit komprimierten Zeitspannen, wo eine Uhr tickt. In diesem Fall sind wir im wahrsten Sinne des Wortes hinter den Kulissen, in wunderschönen Theaterhäusern in San Francisco – der San Francisco Opera, der San Francisco Symphony, dem Flint Center. Was ich schließlich gemacht habe, war, den Film in nur drei Szenen zu schreiben, wobei jede davon in Echtzeit läuft, das heißt: 40 Minuten für den Zuseher sind 40 Minuten für die Protagonisten auf der Leinwand. Jede Szene spielt in den Momenten vor Steves berühmten Produkteinführungen.
APA: Was reizt Sie daran, Steve Jobs ausgerechnet vor ebendiesen Präsentationen - dem Apple Macintosh 1984, dem NeXt Cube 1988 und dem iMac 1998 - zu zeigen?
Sorkin: Wenn wir jemanden sehen, der eine Performance gibt - ob der Präsident der Vereinigten Staaten eine wichtige Rede hält oder Steve Jobs vor 3.000 Menschen ein neues Produkt vorstellt -, wissen wir, dass wir nicht die tatsächliche Person sehen. So wie auch jetzt bei mir vor der Kamera: So bin ich nicht am Essenstisch, so bin ich nicht, sobald dieses Interview vorbei ist. Mich interessiert es mehr, die zwei Minuten vor und nach diesem Interview zu sehen, als das Interview selbst. (schmunzelt)
APA: Basierend auf der Biografie von Walter Isaacson porträtieren Sie Steve Jobs als Visionär, der sich gegenüber Kollegen ausfällig und der Mutter seines Kindes lange feindselig verhält. Einzelne aus Jobs‘ Umfeld (etwa Apple-Chef Tim Cook oder Jobs‘ Witwe Laurene Powell, Anm.) haben „Steve Jobs“ teils als unvorteilhaftes, opportunistisches Porträt diskreditiert. Haben Sie ein Faible für unsympathische Charaktere, die aus einer klaren Vision und Inspiration heraus agieren?
Sorkin: Vorweg möchte ich sagen: Steves ehemalige Kollegen, die sich gegen den Film ausgesprochen haben, haben den Film noch nicht gesehen. Jene Kollegen, die ihn gesehen haben – darunter Macintosh-Marketingchefin Joanna Hofman, der frühere Apple-CEO John Sculley, Chefprogrammierer Andy Hertzfeld, sein bester Freund und Apple-Co-Gründer Steve Wozniak und seine Publizistin Andrea Cunningham – haben alle den Film gesehen und nichts als Gutes darüber zu sagen. Sie alle haben das Konzept des Film verstanden, wissen, dass die Drei-Szenen-Struktur eine Konstruktion des Autors ist und niemand aufgrund dessen glaubt, dass Steve Jobs tatsächlich Konfrontationen mit denselben fünf Personen in den 40 Minuten vor jeder großen Produktpräsentation hatte. Das ist Fiktion, aber der Inhalt der Konfrontationen ist real. Ich glaube nicht, dass jemand, der Steve Jobs nicht persönlich kennt, aus dem Kino geht und den Eindruck mitnimmt, dass der Typ einfach ein Arschloch ist. Was man eher sagen wird, ist: Er war ein sehr komplizierter Kerl und dafür gab es wohl gute Gründe. Wir alle sind komplizierte Menschen. Und am Ende des Films feuern wir ihn sogar an.
(ZUR PERSON: Der 1961 in New York geborene Aaron Sorkin wollte ursprünglich Schauspieler werden, landete aber stattdessen als Stückschreiber am Broadway. Im Alter von 28 Jahren brachte er mit dem Militär-Gerichtsdrama „A Few Good Men“ sein erstes Theaterstück auf die Bühne. Die Verfilmung mit Tom Cruise und Jack Nicholson („Eine Frage der Ehre“, 1992) verschaffte ihm sogleich den ersten Job als Drehbuchautor. Seitdem arbeitet er sehr erfolgreich für Film und Fernsehen, schuf etwa die preisgekrönten Serien „West Wing - Im Zentrum der Macht“ und „The Newsroom“ und erhielt für den von David Fincher inszenierten Kinofilm „The Social Network“ über die Entstehung von Facebook 2011 den Oscar für das Beste Adaptierte Drehbuch. Sorkins Markenzeichen sind rasante, rhythmische Dialoge und denkwürdige, zumeist gesellschaftskritische Monologe.)
(Das Gespräch führte Angelika Prawda/APA.)
~ ISIN US0378331005 WEB http://www.apple.com/ ~ APA065 2015-11-06/08:40