Neuropsychiater Northoff: „Alles ist Gehirn, dieser Tage“

Wien (APA) - Der Versuch, das Gehirn und damit auch das „Bewusstsein“ zu verstehen, hat Hochkonjunktur: „Alles ist Gehirn, dieser Tage“, so ...

Wien (APA) - Der Versuch, das Gehirn und damit auch das „Bewusstsein“ zu verstehen, hat Hochkonjunktur: „Alles ist Gehirn, dieser Tage“, so der deutsche Philosoph, Neuropsychiater und Buchautor Georg Northoff von der Universität Ottawa (Kanada). Im APA-Gespräch im Vorfeld eines Vortrages am Freitag in Wien bremst er aber die Euphorie, denn den Schlüssel zum Gehirn halte die moderne Forschung nicht in der Hand.

Begriffe wie „das Selbst“ oder „Bewusstsein“ haben eine lange Geschichte. Diese philosophisch-konzeptuellen „Rucksäcke“ tragen die modernen Neurowissenschaften jetzt weiter „und versuchen sie mit dem Gehirn in Verbindung zu bringen“, erklärte Northoff. Die Konzepte bestimmen auch die Art, wie sie naturwissenschaftlich untersucht werden. Gerade in der Kombination von Philosophie, Neurowissenschaften und Psychiatrie steckt für den Forscher daher viel Potenzial.

„Meine zentrale Frage in der Philosophie ist die nach der Beziehung von Gehirn und Geist“, so Northoff. Mit der Entwicklung funktioneller bildgebender Methoden, die quasi einen Blick ins Gehirn ermöglichen, haben sich neue Horizonte aufgetan. Da diese Methoden aber erst in ihrer „Adoleszenz“ stecken, sei nicht klar, wohin die Reise bei der Erforschung des Bewusstseins gehen könnte.

Auf der dritten Vienna Conference on Consciousness (VCC), in deren Rahmen sich am Freitag und Samstag die Elite der Bewusstseins-Forscher an der Universität Wien trifft, wird Northoff seine Sicht auf diese „Abenteuerreise“ in einem Vortrag erläutern. Als Abenteuer bezeichnet der Experte die Tatsache, dass „die Befunde vom Gehirn unsere Sichtweise auf die Begriffe und unsere tradierten philosophischen Definitionen verändern“.

Das gelte etwa für „das Selbst“. Immanuel Kant brachte den Begriff vor allem mit höheren geistigen Funktionen in Verbindung. „Gerade in der Psychiatrie zeigen jetzt aber Befunde, dass das Selbst möglicherweise eine ganz basale Funktion des Gehirns ist und erstmal gar nichts mit höheren Kognitionen zu tun hat“, erklärte Northoff, dessen im Dezember erscheinendes neues Buch „Neurophilosophy and the Healthy Mind. Learning from the unwell brain“ (Norton Publisher, New York) sich mit der Thematik auseinandersetzt. Solche Erkenntnisse seien eben „ein Stück Abenteuer“, weil aufseiten der Philosophie und der Naturwissenschaften nun ständig Sichtweisen und Begrifflichkeiten verändert werden müssten.

Nach Spuren des Selbst im Gehirn suchen die Forscher etwa, wenn sie beobachten, was sich dort tut, wenn der eigene Name genannt wird oder Episoden aus dem Leben der Person dargeboten werden. Sie vergleichen dann die neuronalen Reaktionen darauf mit der Gehirnaktivität, die ähnliche Reize ohne direkten Bezug zu der Person hervorrufen.

Auch das Gehirn von Menschen, die sozusagen ihr Bewusstsein verloren haben, weil sie etwa im Wachkoma liegen, reagiere noch auf den eigenen Namen. Northoff: „Das hieße auf der philosophischen Ebene, dass wir möglicherweise das Konzept des Selbst vom Begriff des Bewusstsein lösen müssten.“ Rene Descartes‘ Satz „Ich denke, also bin ich“ erscheine daraufhin in einem anderen Licht.

Angesicht der Vielzahl an neurowissenschaftlichen Befunden, die zur Zeit veröffentlicht werden, könne man sagen: „Alles ist Gehirn dieser Tage.“ Ein „richtiges Modell des Gehirns“ gibt es laut dem Forscher aber noch nicht. Das sei gewissermaßen problematisch, denn das Herz könne man auch nur richtig verstehen, weil man seine Funktion als Pumporgan versteht. „Wir haben aber den Schlüssel zur basalen Funktion des Gehirns nicht“, erklärte Northoff.

Der liege vermutlich in der räumlich-zeitlichen Struktur der Gehirnaktivität im Ruhezustand. „Meine Vermutung ist, dass diese Struktur zentral für mentale Zustände ist. Wenn also ein singuläres Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt in einen größeren zeitlichen Rahmen integriert werden kann, hat es eine größere Chance, bewusst erlebt zu werden“, so der Forscher. Passt ein Ereignis nicht zur längerfristigen Grundaktivität, bleibt es mit höherer Wahrscheinlichkeit unbewusst.

Von der Konferenz in Wien, die Forscher mit vielen verschiedene Sichtweisen auf das Bewusstsein vereint, erwartet sich Northoff wichtige Anregungen - etwa aus dem Artificial Intelligence-Bereich. Die heurige VCC findet im Gedenken an den im Vorjahr verstorbenen Wiener Verhaltensforscher und Initiator der Tagung, John Dittami, statt.

(S E R V I C E - Die Tagung im Internet: http://vcc.univie.ac.at; Homepage von Georg Northoff: www.georgnorthoff.com)