Osttiroler Selbsthilfetag: Wege aus der Stigmatisierung
Zum 7. Mal fand am Wochenende der Osttiroler Selbsthilfetag statt. Schwerpunkte der Workshops, Vorträge und Diskussionen waren der Umgang mit psychischen Erkrankungen, Alternativen der Heilung, Grenzen und Möglichkeiten.
Von Christoph Blassnig
Lienz –Die Gesundheit von Seele, Geist und Körper war das zentrale Thema am Selbsthilfetag, zu dem am Samstag in die Wirtschaftskammer Lienz geladen wurde.
Der Umgang mit vielen Erkrankungen ist für beide Seiten ein langwieriger Prozess: für den Betroffenen selbst ebenso wie für seine Angehörigen und das Umfeld. Laien, Mediziner und Therapeuten müssen sich auf jeden Einzelnen individuell einstellen. „Das braucht Zeit. Eine Tatsache, der unser Finanzierungssystem nicht nachkommt“, kritisierte Martin Schmidt, Leiter der psychiatrischen Abteilung im BKH Lienz. „Ohne das eine gegen das andere ausspielen zu wollen: Eine Krebstherapie kostet zwischen fünfzig- und siebzigtausend Euro und ist unbestritten. Ein neues Psychopharmakum kostet elf- bis zwölfhundert Euro – und das ist schwer durchzusetzen.“
Der bekannte Gesundheitspsychologe und Seelenforscher Georg Fraberger sagte, die Psychotherapie sei auch nach Jahrzehnten der Praxis immer noch eine unbekannte Variable und auf der Suche. „Wir können zuhören. Von einer gültigen Lösung sind wir aber noch weit entfernt.“ Wenn Druck auf der Brust laste, ein Gefühl da sei, sei das schon richtig. „Wir müssen uns trauen, zu uns zu stehen. Uns den anderen mutig zu erkennen geben und dabei das Risiko eingehen, uns zu blamieren und Fehler zu machen. Niemand von uns ist ohne Fehler. Das macht den Menschen aus.“
Einsamkeit und Verzweiflung sind für Viktor Staudt zusätzliche Lasten, wenn Betroffene mit ihrem Problem auf Unverständnis stoßen. Staudt hat sich vor einen Zug geworfen und beide Beine dabei verloren. „Wenn ich heute gefragt werde, was ich sagen würde, könnte ich zu mir selbst in den Moment vor meiner Verzweiflungstat zurückkehren, dann antworte ich: gar nichts. Ich würde mich einfach in den Arm nehmen. Und hoffen, dass es dadurch besser würde.“ Wenn jemand den Weg in die Therapie findet, müsse man vor der Erkrankung zuerst der Einsamkeit und Verzweiflung begegnen, glaubt Staudt. Sein Erleben deutet er heute als Chance, die Selbsterkenntnis und Tiefe in sein Leben gebracht habe.
„Ich habe mich fünfzehn Jahre lang verstellt und versteckt“, gestand Berta Lackner, die unter einer Zwangsstörung leidet. „Mein Leben war geprägt von der Angst, mein mir bekanntes Leben, meine Freunde oder den Arbeitsplatz deswegen zu verlieren.“ Ihr Ehepartner hat ihr geholfen, sich in Therapie zu begeben.
Nicht für jeden müsse eine Selbsthilfegruppe auch tatsächlich eine Hilfe sein, erzählte Norbert Erlacher. Seine Tochter leidet seit dreißig Jahren an einer bipolaren Erkrankung sowie Angst- und Panikattacken. „Ich engagiere mich in einer Gruppe für Angehörige psychisch erkrankter Menschen. Meine Tochter dagegen hat diese Form der Hilfe immer abgelehnt.“ Sie sei mit ihrer Krankheit mehr als genug beschäftigt, sie wolle nicht mehr Zeit als nötig für diesen Teil ihres Lebens verwenden, sage sie.
Mit das schwierigste und wichtigste Anliegen für alle Menschen müsse sein, der „Angst vor dem Ertapptwerden“ zu begegnen, meinte Erlacher. Die Leidtragenden bräuchten Bewältigungsstrategien. Die entscheidende Frage laute: „Wie fängt man die Betroffenen auf und bringt sie in Behandlung?“
Martin Schmidt sieht einzig die ständige Begegnung von Betroffenen, Fachleuten und Angehörigen als Weg aus der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen, die trotz aller internationalen Präventionsversuche weiter stark voranschreite. „Es heißt, es bringe nichts, einer Gesellschaft Kritik an den Kopf zu werfen. Ich sage: Es hat noch keiner geschadet!“
Kontakt Selbsthilfe Osttirol: Tel: 04852/606-290.