Vollbeschäftigung in USA - Zinswende steht vor der Tür
Washington (APA/Reuters) - Außergewöhnlich gute Zahlen vom Arbeitsmarkt machen den Weg für die erste Zinserhöhung in den USA seit fast einem...
Washington (APA/Reuters) - Außergewöhnlich gute Zahlen vom Arbeitsmarkt machen den Weg für die erste Zinserhöhung in den USA seit fast einem Jahrzehnt frei. Denn die Notenbank Federal Reserve hat erstmals seit Ausbruch der globalen Finanzkrise ihr Ziel der Vollbeschäftigung erreicht, wie am Freitag veröffentlichte Regierungsdaten zeigen.
Mit einer im internationalen Vergleich sehr niedrigen Erwerbslosenquote von 5,0 Prozent im Rücken dürfte die Fed nun im Dezember die geldpolitischen Zügel anziehen. An der Wall Street gab es deswegen lange Gesichter, da die Abkehr von der börsenfreundlichen Geldpolitik nun vor der Tür steht. Die Anleger müssen sich darauf einstellen, dass Fed-Chefin Janet Yellen nach monatelanger Hängepartie bald Ernst macht. Ihr Fed-Kollege James Bullard taxiert die Chancen für eine Anhebung auf fast 80 Prozent: „Die Ängste in der Welt, die die Fed im September von der Zinserhöhung abgehalten haben, sind weitgehend geschwunden.“
Yellen hatte damals unter dem Eindruck des Börsenbebens in China davor zurückgeschreckt, die Zinsen anzuheben. Danach setzten die Märkte zwischenzeitlich darauf, dass sie den Schritt bis ins nächste Jahr aufschieben würde. Seit der Fed-Sitzung im vorigen Monat ist jedoch klar, dass eine Anhebung für Dezember fest auf der Agenda steht. Damit schwimmt die Fed gegen den Strom, denn die Europäische Zentralbank wird die Geldschleusen wegen der schwachen Konjunktur im Währungsraum voraussichtlich noch vor dem Jahresende weiter öffnen. Und auch in Japan ist die Wende noch weit weg.
Anders in den USA: Fed-Führungsmitglied Charles Evans ist offen für eine Abkehr vom Nullzins, wie er öffentlich bekundete. Der starke Stellenaufbau in der Wirtschaft lässt der Notenbank nach Ansicht vieler Beobachter auch kaum noch eine andere Wahl. Allein im Oktober entstanden 271.000 neue Jobs. Ökonomen hatten lediglich ein Plus von 180.000 auf dem Zettel. „Die Ampel für eine Anhebung steht eindeutig auf grün“, sagte Ökonom Harm Bandholz von der Großbank UniCredit. Auch die Experten des britischen Geldhauses Barclays rechnen nun für nächsten Monat fest mit einer geldpolitischen Straffung. Zuvor hatten sie noch auf März 2016 getippt.
Höhere Zinsen machen die US-Währung für Anleger attraktiver, was den Euro zum Wochenschluss um bis zu 1,6 Prozent auf 1,0708 Dollar drückte, den niedrigsten Stand seit sechseinhalb Monaten. Diese Abwertung der Gemeinschaftswährung schob die europäischen Aktienmärkte an. Denn durch den Wechselkurseffekt werden europäische Produkte im Dollar-Raum billiger und damit wettbewerbsfähiger, was den Export beflügeln dürfte.
An der Wall Street, die zu Handelsbeginn leicht nachgab, lösten die Daten hingegen gemischte Gefühle aus. Einerseits sorgte die unerwartet große Zahl neuer Stellen für Zuversicht, dass es mit der Wirtschaft aufwärtsgeht. Andererseits drückten die Daten auf die Stimmung, weil die Zinswende naht.
Die Fed sorgt mit ihrem vielen billigen Geld seit Jahren für eine Hausse am Aktienmarkt. Nun muss sich die Wall Street aber darauf einstellen, dass die Wirtschaft weniger Unterstützung von der Notenbank erhält. Zuletzt hat sich der US-Aufschwung verlangsamt. Doch Experten sehen darin kein Schwächezeichen. Denn der Konsum, der rund zwei Drittel der US-Wirtschaftsleistung ausmacht, zog weiter an. Auch Yellen betonte zuletzt, die Konjunktur laufe gut.
Die geldpolitische Wende nimmt somit rund ein Jahr vor den US-Präsidentschaftswahlen im November 2016 konkrete Formen an. Der republikanische Bewerber Donald Trump hatte sich bereits auf die seiner Meinung nach viel zu zögerliche Notenbank eingeschossen: Er warf ihr vor, die Geldpolitik an den Wünschen der Regierung des scheidenden demokratischen Präsidenten Barack Obama auszurichten.
~ WEB http://www.federalreserve.gov/ ~ APA483 2015-11-06/17:15