Auf sie mit Gebrüll
„Atari Teenage Riot“ kultivierten aggressive Resignation im Innsbrucker Treibhaus.
Von Joachim Leitner
Innsbruck –Alec Empire, Gründer und kreativer Kopf von Atari Teenage Riot, reißt gern die linke Faust hoch – und fordert das Publikum auf, es ihm nachzutun. Für einen, der sich selbst als libertären Anarchisten versteht, als vehementen Angreifer aufs verkommene System, gehört sich das so. Schließlich ist die Lage ernst: Das einst zum Hort utopischer Selbstbestimmung hochgefeierte Internet ist zur massiven Überwachungsmaschine geworden – und der Mensch vom Mitgestalter zum Nutzer und vom Nutzer zum gläsernen Kunden und Datenlieferanten.
Atari Teenage Riot oder kurz ATR, irgendwie aus Berlin, aber zuhause auf den größten Nischenbühnen der Welt, liefern den Soundtrack zum zugegeben zögerlichen Aufbegehren gegen die digitale Krake. Und dieser Soundtrack ist vor allem eines: laut. Laut, schnell (gefühlt 200 mittels Uraltcomputern von Atari generierte und von Stroboskobzuckungen jeden Coloeurs begleitete Beats per Minute) und zornig.
Im Treibhaus präsentierten ATR, also Alec Empire, die „singende Programmierin“ (Die Zeit) Nic Endo und der Rapper Rowdy Superstar ihr neues Album „reset“, das sich von den bisherigen am ehesten durch eine zunehmend barocker ausgestaltete Tendenz zum Tonteppich unterscheidet. Weniger aggressiv klingen Atari Teenage Riot deshalb freilich nicht. Im Gegenteil: Das rotzig-randalierende Revolutionspathos der Texte, die von der drohenden Katastrophe kollektiver Untätigkeit handeln, kommt dadurch beinahe besser zur Geltung als in ATR-Evergreens wie „Revolution Action“, „Blood in My Eyes“ oder „Black Flag“, die natürlich auch gespielt wurden.
Wobei gerade diesen älteren Tracks allem „hyper-hyper“-Gehabe zum Trotz ein, zwei fingerbreit Resignation beigemischt schien: Die Kämpfer gegen das Böse einer kommerz-kapitalistischen Spaßgesellschaft sind in die Jahre gekommen; die Gefahr hinter der zur Geste geronnenen Ablehnungshaltung einen Hauch Ironie zu erahnen, ist groß. Schließlich speisen die zahllosen von mit Smartphones ausgerüsteten Revolutionsfeierwütigen geschossenen Bilder bereits jetzt die Foren jener Online-Datenkraken, gegen die auf der Bühne beherzt angebrüllt wurde. Zorn-Potenzial fürs nächste ATR-Album gibt es also – hoffentlich.