WM-Affäre

DFB-Präsident Niersbach tritt zurück, Beckenbauer gefordert

Der ehemalige DFB-Präsident Wolfgang NIersbach bleibt gesperrt.
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Wolfgang Niersbach sieht in der deutschen WM-Affäre keinen anderen Ausweg mehr: Der DFB-Präsident tritt zurück. Sein Amt übernehmen zunächst zwei Vize-Präsidenten. In der FIFA und UEFA wird Niersbach den deutschen Fußball überraschenderweise aber weiter vertreten.

Frankfurt - Wolfgang Niersbach hat die Konsequenzen aus dem Sommermärchen-Skandal gezogen und ist am Montag als DFB-Präsident zurückgetreten. Er habe für sich erkannt, „dass der Punkt gekommen ist, die politische Verantwortung zu übernehmen“, sagte Niersbach nach einer Präsidiumssitzung des Deutschen Fußball-Bundes.

Die mündliche Rücktrittserklärung von Niersbach im Wortlaut: „Ich habe am heutigen Tage die Entscheidung getroffen, mit sofortiger Wirkung vom Amt des DFB-Präsidenten zurückzutreten. Nicht, weil das Präsidium des DFB oder auch die Versammlung der Regional- und Landesverbände mir das Vertrauen entzogen hätten, sondern weil ich für mich erkannt habe, dass der Punkt gekommen ist, die politische Verantwortung zu übernehmen für Ereignisse rund um die WM 2006, wo ich mich selber in der Verantwortung fühle und auch selber bis heute sage, ich habe dort absolut sauber und gewissenhaft gearbeitet. Aber es sind Dinge passiert, die auch in den letzten Tagen erst aufgedeckt wurden, die mich dazu veranlassen, zurückzutreten, im Sinne einer politischen Verantwortung. Das Amt des DFB-Präsidenten darf damit nicht belastet werden. Und es geht auch um meine persönliche Reputation - aber das Amt steht über der Person. Deshalb die Entscheidung heute, die mir unglaublich schwer gefallen ist. Ich habe über 27 Jahre für den DFB gearbeitet. Der DFB ist für mich mehr als ein Job gewesen. Immer Herzensangelegenheit. Und gerade die wunderbare WM 2006, dieses Sommermärchen, war für mich ein Highlight in meinem beruflichen Leben, das ich nie vergessen werde. Umso bitterer ist es elf Jahre später zu erfahren, dass dort offenbar Dinge passiert sind, von denen auch ich keine Kenntnis hatte. Ich werde auch alles dazu beitragen, das restlos aufzuklären. Diese Aufgabe und dieses Versprechen bleibt.“

Niersbach behält Posten in FIFA und UEFA

Satzungsgemäß werden zunächst die Vizepräsidenten Rainer Koch und Reinhard Rauball, der auch Ligapräsident ist, das Amt übernehmen. Niersbach wird seine Posten in den Exekutivkomitees der Europäischen Fußball-Union UEFA und des Weltverbands FIFA allerdings behalten. Das Präsidium habe Niersbach in einem einstimmigen Beschluss darum gebeten, „um sein überragendes Netzwerk dem deutschen Fußball zukünftig zur Verfügung zu stellen“, sagte Rauball und erklärte zum Rücktritt:„Es ist keine persönliche Entscheidung im Sinne eines Schuldbekenntnisses.“

Der 64 Jahre alte Niersbach war in dem Skandal um dubiose Geldflüsse vor der Weltmeisterschaft 2006 schwer unter Druck geraten. In der vergangenen Woche durchsuchte die Steuerfahndung sowohl die DFB-Zentrale in Frankfurt als auch Niersbachs Privatwohnsitz in Dreieich.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Gegen den DFB-Chef, seinen Vorgänger Theo Zwanziger und den früheren DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall. Der DFB hatte die Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer mit einer externen Untersuchung beauftragt. „Die Aufklärung ist damit nicht zu Ende“, sagte Rauball. „Es geht weiter - ohne Ansehen von Personen und Verdiensten.“

Zuletzt hatten handschriftliche Notizen auf einem Briefentwurf aus dem Jahr 2004 für erneuten Wirbel in der WM-Affäre gesorgt. Sollten diese tatsächlich von Niersbach stammen, wäre klar, dass er nicht wie behauptet erst diesen Sommer von den Millionentransfers im Zuge der Vorbereitungen für die Weltmeisterschaft 2006 erfahren hätte. Dazu äußerte sich Niersbach in seinem Statement vor der Presse nicht, es wurden keine Fragen zugelassen.

Interimspräsident fordert Antworten von Beckenbauer

DFB-Interimspräsident Rainer Koch forderte im Zuge der Affäre umfassende Antworten von Franz Beckenbauer. Es sei „höchste Zeit“, dass der damalige Präsident des Organisationskomitees Stellung beziehe, sagte Koch am Montag im ZDF. „Wir haben die Bitte, dass er sich intensiver einbringt in die Aufklärung der Vorgänge.“

Der 70-Jährige könne erklären, was damals genau passiert sei, betonte Koch. „Das ist auch die große Bitte der gesamten Spitze des DFB, diese Fragen zu beantworten.“ Beckenbauer hatte vor zwei Wochen vor den externen DFB-Ermittlern ausgesagt, danach zwar einen „Fehler“ eingeräumt, aber zumindest öffentlich viele Fragen offen gelassen. (dpa, TT.com)

Affäre um WM 2006: Dubioser Millionentransfer und Steuerfahndung

Mit einem Bericht über angeblich gekaufte Stimmen bei der Vergabe der WM 2006 erschüttert der „Spiegel“ den deutschen Fußball. Für diese Behauptung gibt es weiter keine Beweise, doch ein dubioser Millionentransfer bringt besonders DFB-Chef Wolfgang Niersbach in Bedrängnis. Was geschah bislang im WM-Skandal:

6. Oktober: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) räumt in einer Pressemitteilung Ungereimtheiten rund um eine Zahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro an den Weltverband FIFAein.

16. Oktober: Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtet, dass für den Zuschlag der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 Geld aus einer schwarzen Kasse des Bewerbungskomitees geflossen sei, um damit vier entscheidende Stimmen im FIFA-Exekutivkomitee zu kaufen. Das Geld soll vom ehemaligen Adidas-Boss Robert Louis-Dreyfus gekommen sein. Der DFB weist den „Spiegel“-Bericht als haltlos zurück.

17. Oktober: Erstmals äußert sich DFB-PräsidentNiersbach: „Ich kann versichern, dass es im Zusammenhang mit der Bewerbung und Vergabe der WM 2006 definitiv keine schwarzen Kassen beim DFB, dem Bewerbungskomitee noch dem späteren Organisationskomitee gegeben hat.“

18. Oktober: Franz Beckenbauer meldet sich zu Wort und dementiert den „Spiegel“-Bericht: „Ich habe niemandem Geld zukommen lassen, um Stimmen für die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 nach Deutschland zu akquirieren. Und ich bin sicher, dass dies auch kein anderes Mitglied des Bewerbungskomitees getan hat.“

19. Oktober: Die Staatsanwaltschaft prüft einen Anfangsverdacht für ein Ermittlungsverfahren. Als mögliche Tatbestände nennt eine Sprecherin Betrug, Untreue oder Korruption.

19. Oktober: Niersbach weist die Korruptionsvorwürfe erneut zurück, räumt aber erstmals „den einen offenen Punkt“ ein: „Dass man die Frage stellen muss, (...) wofür diese Überweisungen der 6,7 Millionen verwendet wurden.“

19. Oktober: Ex-DFB-Boss Theo Zwanziger äußert Zweifel an der internen Aufarbeitung des DFB.

21. Oktober: Die DFB-Landesverbände fordern von Niersbach eine schnelle Aufklärung der Korruptionsvorwürfe.

22. Oktober: Niersbach tritt in Frankfurt sichtlich erschöpft vor die Presse und bringt nur wenig Licht ins Dunkel um die WM 2006.

23. Oktober: Das DFB-Präsidium stärkt Niersbach den Rücken, hält aber „strikt daran fest [...], dass lückenlos aufgeklärt wird.“

23. Oktober: Zwanziger bezichtigt Niersbach der Lüge und berichtet im „Spiegel“ von der vermeintlichen Existenz einer schwarzen Kasse „in der deutschen WM-Bewerbung“. Es sei „ebenso klar, dass der heutige Präsident des DFB davon nicht erst seit ein paar Wochen weiß, wie er behauptet, sondern schon seit mindestens 2005“.

26. Oktober: Beckenbauer räumt in der Affäre erstmals einen „Fehler“ ein. Das Organisationskomitee hätte nicht auf einen Vorschlag der FIFA-Finanzkommission eingehen dürfen, um einen Finanzzuschuss zu bekommen, teilte der damalige OK-Präsident mit.

27. Oktober: Die vom DFB beauftragte Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer erklärt, mit Ergebnissen in der Affäre sei nicht schnell zu rechnen.

28. Oktober: Zwanziger sagt vor den externen Ermittlern der Anwaltskanzlei aus.

3. November: Die Staatsanwaltschaft führt beim DFB in Frankfurt eine Steuer-Razzia durch. Zudem durchsucht sie die Wohnungen von Niersbach, Zwanziger und dem ehemaligenDFB-Generalsekretär Horst R.Schmidt. Die Beamten ermitteln im Zusammenhang mit 6,7-Millionen-Euro-Zahlung wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall.

6. November:Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ veröffentlicht angeblich von Niersbach stammende handschriftliche Notizen auf einem Schreiben des WM-OK an die FIFAaus dem Jahr 2004. Diese sollen belegen, dass er nicht erst 2015 von den Vorgängen Kenntnis hatte.

9. November: Am Nachmittag trifft sich das DFB-Präsidium zu einer außerordentlichen Sitzung mit Niersbach. Der 64-Jährige erklärt seinen Rücktritt:„„Ich habe für mich erkannt, dass der Zeitpunkt gekommen ist, die politische Verantwortung zu übernehmen.“