Film und TV

Ein Nihilist mit Single Malt

© Warner Bros

In seinem neuen Film „Irrational Man“ lässt Woody Allen seinen schwergewichtigen Star Joaquin Phoenix durch Dostojewskis „Schuld und Sühne” flanieren.

Von Peter Angerer

Innsbruck –An Hinweisen hat es nie gefehlt. In „Der Stadtneurotiker“(1977) lösen Annie Hall und der von Woody Allen gespielte Alvy Singer den gemeinsamen Haushalt auf: „Alle Bücher über Tod und Sterben gehören dir!“ Die vom Komiker – in der frühen Phase seines Werks hat Allen gern biografische Details mit Erfindungen gemischt – enttäuschte Gefährtin hätte vielleicht die Randnotizen lesen sollen, um das Komische etwa in Dostojewskis „Schuld und Sühne“ zu entdecken.

Die Mörder bei Woody Allen waren immer saturierte Bürger, die von einer Geliebten bedroht wurden („Verbrechen und andere Kleinigkeiten“) oder Emporkömmmlinge, die von einer schwangeren Freundin bei ihren Ambitionen behindert wurden („Match Point“). In „Irrational Man“, Allens 46. Kinofilm, ist der Mörder ein Philosoph.

Sehnsüchtig wird im Provinz-College von Newport, New England, die Ankunft des Philosophie-Professors Abe Lucas (Joaquin Phoenix) erwartet. Während seine Bücher durch eleganten Stil über den mageren Inhalt hinwegtäuschen, legt er wie Dostojewskis Raskolnikow wenig Wert auf die äußere Erscheinung. Sein Sakko nutzt er zur diskreten Verwahrung seines mit Single Malt gefüllten Flachmanns.

Sein neues Buch „Haidegger und der Faschismus“ ist unvollendet. Mit der Schreibblockade könnte Abe leben, zumal es unsicher ist, ob sich die Welt durch dieses Buch verbessern ließe. Peinlich ist bei einer Blockade nur die damit einhergehende Impotenz. Als sich die College-Pharmazeutin Rita Richards (Parker Posey) von Abes Ruf als Liebhaber überzeugen will, erzählt Abes schwabbelnder Bauch die traurige Geschichte der Niederlage.

Der Studentin Jill Pollard (Emma Stone) möchte Abe solche Erfahrungen ersparen, weshalb er es bei philosophischen Ergüssen belässt, zumal es bei der Philosophie ohnehin um „verbale Masturbation“ geht. Bei Vorlesungen und mehr noch in trister Stimmung schiebt Abe Aphorismen von Kant, Kierkegaard oder Sartre wie ein Barkeeper die Drinks über den Tresen: „Die Hölle, das sind die anderen.“ Für Jill als Stimme der Jugend ist das „französischer Nachkriegsmist”, womit alles über die Existenzialisten gesagt ist. Den Strohhalm, an dem er sich aus dem Sumpf eines unerfreulichen Lebens ziehen könnte, entdeckt Abe (wie Raskolnikow) in einem Café. Am Nebentisch verhandeln Gäste den Fall eines Richters, der in seinen Urteilen Frauen und Kinder in das Elend stürzt. Könnte nicht der „gute Mord“ an diesem Menschenfeind jene Tat sein, mit der sich Abe reinigen könnte? Tatsächlich verflüchtigen sich nach vollbrachter Tat Blockade und Impotenz, aus dem Nihilisten wird ein Positivist mit Perspektive. Aber da gibt es noch diese Ausgabe von „Schuld und Sühne“ mit Randnotizen und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Am Ende von „Irrational Man“ wird auch klar, warum Allen in seinen Filmen über Tod und Sterben nie den Mörder spielen wollte. Es schadet dem Image und ist frustrierend anzusehen, aber kein Grund, auf einen Single Malt zu verzichten, um auf Woody Allen anzustoßen, der am 1. Dezember 80 Jahre alt wird.