Ehrenpreis an Rabinovici: „Wort Toleranz hat schalen Beigeschmack“

Wien (APA) - Der Autor und Historiker Doron Rabinovici (53) nahm heute, Freitag, Vormittag im Wiener Rathaus den im Rahmen der Buch Wien ver...

Wien (APA) - Der Autor und Historiker Doron Rabinovici (53) nahm heute, Freitag, Vormittag im Wiener Rathaus den im Rahmen der Buch Wien verliehenen und mit 10.000 Euro dotierten Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln entgegen. Sein kritischer Umgang mit dem Begriff zog sich durch beinahe alle Reden.

Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) begrüßte im Rathaus, „das eigentlich ein Haus der Literatur ist, weil fast ein Drittel der Gesamtfläche des Hauses die Wien-Bibliothek einnimmt“. Mit Rabinovici heiße er jemanden willkommen, „mit dem sich vortrefflich über den Begriff Toleranz diskutieren lässt und der diese Rolle nicht nur als wunderbarer Schriftsteller sondern auch als scharfsinniger Historiker und Gesellschaftskritiker wahrnimmt“. Benedikt Föger, Präsident des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels (HVB), nahm bei seiner Begrüßung wie schon bei der Eröffnung der Buch Wien am Mittwochabend auf die aktuelle Flüchtlingssituation Bezug und verwies eindringlich auf die Rolle der Literatur als Instrument für Toleranz.

Laudator Armin Thurnher würdigte den Preisträger als „öffentlichen Intellektuellen“, der sich durch die „historische Präzision seines Blicks“ auszeichne. Die launige Rede umfasste durchaus viele persönliche Anspielungen: „Ich habe so lange als Demonstrant unter ihm gedient, dass es nur würdig und recht ist, dass er nun einmal mir zuhören muss“, so Thurnher in Hinblick auf zahlreiche Auftritte Rabinovicis als Redner bei Demos u.a. gegen Schwarz-Blau 1999/2000. Den von Rabinovici durchaus ambivalent empfundenen Begriff der Toleranz wollte Thurnher verteidigen: „Wir müssen alles tolerieren außer dem, was wir zurückweisen müssen, weil es intolerabel ist.“ Und ganz im Sinne seiner Ausführungen über das Wesen der Toleranz, das Für und Wider schloss der „Falter“-Herausgeber: „Du wirst diesen Toleranzpreis erdulden, ich werde dich dafür respektieren.“

Rabinovici freute sich, dass seine Mutter und sein Bruder extra aus Israel zur Verleihung angereist sind und setzte seine Rede auf der Ambivalenz der Toleranz in Lessings „Nathan der Weise“ auf und zitierte Hannah Arendts Rede bei Verleihung des Lessing-Preises 1959, wo sie Nathans Worten widersprach: Man könne sich immer nur als das wehren, als das man angegriffen ist. In weiterer Folge nahm Rabinovici auf den Umgang Europas mit den Flüchtlingen Bezug: „Geht es um Toleranz, wenn wir den Schutzbefohlenen Hilfe leisten? Ist es nicht mehr eine Sache der Menschenwürde?“, so der Autor mit Blick auf im Mittelmeer ertrinkende Menschen, auf nacktem Boden gebärende Frauen und in Lastwägen nach Atem ringende Kindern. „Hier geht es nicht um Toleranz, sondern um konkrete Hilfe in der Not. Schließlich beginnt Toleranz doch erst dort, wo ich mir etwas abverlange, wo es tatsächlich gegen mich geht.“ So habe das Wort Toleranz für ihn stets „einen schalen Beigeschmack“.

Und so nahm Rabinovici den Preis mit einem Augenzwinkern entgegen, nachdem Friedrich Hinterschweiger (Obmann des Fachverbands Buch- und Medienwirtschaft) die Jury-Begründung verlas: „Ob als gewitzter Erzähler oder als akribischer Historiker, als Schöpfer des bewegenden Theaterprojekts ‚Die letzten Zeugen‘ oder als scharfzüngiger Publizist - Doron Rabinovici hat sich der Aufklärung und der Dialektik von Vergessen und Erinnern verschrieben.“

Rabinovici wurde 1961 in Tel Aviv geboren. Sein Vater flüchtete 1944 aus Rumänien nach Palästina, seine aus Wilna stammende Mutter überlebte im Konzentrationslager den Holocaust und reiste in den 1950er Jahren nach Israel. 1964 übersiedelte die Familie in Wien, wo Doron Rabinovici Geschichte, Ethnologie, Medizin und Psychologie studierte. 2000 promovierte er mit einer Arbeit über den Wiener Judenrat 1938-45, „Instanzen der Ohnmacht“, das heute als Standardwerk gilt.

„Papirnik. Stories“ war 1994 seine erste literarische Veröffentlichung im Suhrkamp Verlag - eine Sammlung von zehn Erzählungen, deren Titelfigur ein Mann aus Buchseiten ist, der am Ende verbrennt. Drei Jahre später erschien das in Wien spielende Romandebüt „Suche nach M.“, in dem die Gräuel der Vergangenheit in die Gegenwart nachwirken. Es folgten der vorwiegend auf dem Wiener Naschmarkt spielende Roman „Ohnehin“ (2004), sowie „Andernorts“ (2010). Dazwischen erschien der Essayband „Credo und Credit. Einmischungen“ (2001).

Zu seinen bisherigen Auszeichnungen zählen neben dem Wildgans-Preis der 3sat-Preis im Rahmen des Ingeborg-Bachmann-Preises 1994, der Preis der Stadt Wien für Publizistik, der Heimito-von-Doderer-Förderpreis und der Willy und Helga Verkauf-Verlon-Preis.

Der Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels wird vom Hauptverband und dem Fachverband Buch- und Medienwirtschaft vergeben wurde erstmals 1990 an Milo Dor verliehen, weitere Preisträger waren u.a. Kardinal Franz König, Simon Wiesenthal, Hugo Portisch, H. C. Artmann, Christine Nöstlinger oder Armin Thurnher. Zuletzt wurden Barbara Coudenhove-Kalergi 2013 und Bischof Erwin Kräutler 2014 mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet.