Salzburg 2016 - Das Dilemma von „Klein-Berlin“

Oberndorf/Laufen (APA) - „Klein-Berlin hat vor 200 Jahren hier stattgefunden.“ Mit diesem Satz hat der Bürgermeister von Oberndorf bei Salzb...

Oberndorf/Laufen (APA) - „Klein-Berlin hat vor 200 Jahren hier stattgefunden.“ Mit diesem Satz hat der Bürgermeister von Oberndorf bei Salzburg, Peter Schröder, gegenüber Medien das historische Dilemma drastisch veranschaulicht, als die österreichisch-bayerische Grenze mitten durch Laufen gezogen wurde. „Drent und herent“ entstanden zwei Orte: Laufen und Oberndorf. Die Bewohner verbindet mehr als zwei Brücken.

Die Grenzlinie bildet allerdings keine Mauer wie in Berlin zwischen 1961 und 1989, sondern ein Alpenfluss: Die Salzach. Durch den Münchener Vertrag kam das Land Salzburg am 1. Mai 1816 endgültig zu Österreich. Mit Kollateralschäden für die Bürger. Laufen, bisher salzburgerisch, wurde geteilt. Die historische Altstadt auf der Halbinsel der Salzach-Schleife fiel an Bayern. Die rechts (östlich) der Salzach liegenden Vorstadtteile Oberndorf und Altach hießen fortan „Österreichisch-Laufen“ und wurden dem „Salzburgkreis“ zugesprochen.

Die Gebietsverluste zogen einschneidende Konsequenzen für die Bevölkerung nach sich. „Ganze Familien sind auseinandergerissen worden. Der Vergleich mit der Berliner Mauer ist richtig“, erklärte der Kulturamtsleiter von Laufen, Stefan Feiler, im Interview mit der APA. Deshalb sei 2016 kein Jubeljahr, sondern ein „Erinnerungsjahr“, wie Feiler betonte.

Als Salzburg nach rund 470-jähriger Eigenständigkeit österreichisch wurde, kam nicht nur Laufen zu Bayern, sondern der links (westlich) der Salzach gelegene Teil des Rupertiwinkels mit den ehemaligen fürsterzbischöflichen Besitzungen Waging am See, Tittmoning, Laufen, Staufeneck und Teisendorf. Die Stadt an der Salzach schlitterte durch die Grenzziehung in eine ungünstige Randlage. Die Salzach-Schifffahrt erlitt einen Niedergang. Die wirtschaftlichen Nachteile waren gravierend, das betraf auch den Verkauf landwirtschaftlicher Produkte wie Getreide.

Besiedelt wurde Laufen vor etwa 1.300 Jahren. Während der Jahrhunderte entstand ein wirtschaftlich bedeutender Ort. Die Schifferstadt war ein wichtiger Umschlagplatz des Salzhandels des geistlichen Fürstentums Salzburg. „Der Fluss war eine Lebensader“, sagte Feiler. Als Laufen, das schon seit Jahren Stadtrechte genossen hatte, 1816 geteilt wurde, kam der ärmere Bereich zu Österreich. Zwei Jahre später, 1818, wurde in der Kirche St. Nikola in Oberndorf am Heiligen Abend das Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“ von dem Organisten Franz Xaver Gruber und dem Hilfspfarrer Joseph Mohr uraufgeführt.

Das Lied aus Oberndorf erlangte Weltberühmtheit. Es wurde bisher in zirka 300 Sprachen übersetzt und zählt zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe Österreichs. Auch wenn der Bekanntheitsgrad von Oberndorf über die Jahre gestiegen ist, so wurde die Marktgemeinde erst am 30. April 2001 zur Stadt erhoben.

Das Gefühl der Verbundenheit ging in der Bevölkerung trotz der Grenzziehung nicht verloren. Allerdings erschwerte der Grenzbalken auf der Brücke den kleinen Grenzverkehr zwischen Oberndorf und Laufen enorm. Dennoch: Über die Grenze hinweg wurden Ehen geschlossen, und brach ein Brand aus, halfen die Feuerwehren zusammen. Heulte die Sirene auf, wurde der Schranken schon geöffnet. „Die Brücke ist unsere Lebensader. Wir haben das nie als Grenze empfunden“, resümierte Oberndorfs Bürgermeister Schröder. Als Österreich 1995 der EU und 1997 dem Schengener Abkommen beitrat, fielen auch die Grenzkontrollen weg.

„Es ist eine starke Zusammengehörigkeit da. Auch wenn Laufen und Oberndorf jetzt jede für sich eine Stadt ist“, stieß der Kulturamtsleiter von Laufen ins selbe Horn wie der Bürgermeister von Oberndorf. Feiler bezeichnete die zwei Städte als ein „relativ stark aufstrebendes europäisches Mittelzentrum“ mit insgesamt rund 13.000 Einwohnern. Oberndorfer Schüler besuchen das Rottmayr-Gymnasium in Laufen (Landkreis Berchtesgadener Land), Laufener Schüler die Handelsakademie in Oberndorf. Weil Laufen seit den 1970er Jahren kein Krankenhaus mehr hat, fahren viele Bayern über die Salzach in das Oberndorfer Spital.

Seit 2006 verbindet noch eine zweite Brücke die beiden Grenzstädte: Der „Europasteg“ für Fußgänger und Radfahrer. „Amtsschimmel“ haben zwar immer wieder für Störgeräusche im Grenzverkehr gesorgt, doch nach jahrelangem Kampf verkehrt seit Februar 2014 auch ein gemeinsamer „Stadtbus“ zwischen den Schwesterstädten. Dafür musste allerdings das Österreichische Kraftfahrliniengesetz abgeändert werden.

Um diverse Probleme aus der Welt zu schaffen und Projekte mit vereinten Kräften zu stemmen, treffen sich einmal jährlich die Gemeindevertreter und Stadträte von Laufen und Oberndorf zu einer Sitzung. Gemeinsame Aktivitäten gibt es genug: Das Vorweihnachtsprogramm „Advent an der Salzach“, der Stille-Nacht-Themenweg, der Kulturlehrpfad, ein Kinder-Ferienprogramm im Sommer, weiters Kooperationen im Tourismus, in der Werbung und der Wohnbauplanung. „Auch die Gewerbevereine arbeiten eng zusammen“, schilderte Feiler. „Seit Jahrzehnten gibt es das Anliegen der Gemeinden, das weitere Zusammenwachsen zu fördern.“

Die Dialekte zeigen ganz deutlich, dass die Gebiete früher zusammengehört haben. Auch wenn jüngere Leute in Laufen jetzt anders sprechen als auf der Oberndorfer Seite. Zu diesem Ergebnis kommt der Salzburger Sprachwissenschafter Hannes Scheutz, Autor des Buches „Drent und herent“. Die Grundmundart der älteren Bewohner aus dem bäuerlichen Bereich klingt noch sehr ähnlich. Besonders das Alt-Salzburgische hat sich laut Scheutz im nun bayerischen Rupertiwinkel fast besser erhalten als in Salzburg.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Bestrebungen auf Salzburger Seite, den Rupertiwinkel wieder zu vereinen. Josef Rehrl, von 1947 bis 1949 Salzburger Landeshauptmann, forderte die Rückgabe des Rupertiwinkels und des Berchtesgadener Landkreises an Salzburg. Seine Idee stieß bei den Bayern auf verschlossene Ohren.