Türkei: Regierungskritischer Zeitung droht Steuerprüfung

Istanbul/Straßburg (APA/dpa/AFP) - Nach der Verhaftung von zwei Journalisten des regierungskritischen Blattes „Cumhuriyet“ („Republik“) habe...

Istanbul/Straßburg (APA/dpa/AFP) - Nach der Verhaftung von zwei Journalisten des regierungskritischen Blattes „Cumhuriyet“ („Republik“) haben die türkischen Behörden eine Steuerprüfung der Zeitung angekündigt. Das Finanzministerium habe eine erneute Inspektion der Buchhaltung aus dem Jahr 2010 angekündigt, obwohl es bei der Prüfung vor fünf Jahren keine Probleme gegeben habe, berichtete die Zeitung am Dienstag.

Der Chefredakteur der „Cumhuriyet“, Can Dündar, und der Hauptstadtkorrespondent Erdem Gül waren vergangene Woche verhaftet worden. Ein höheres Gericht lehnte am Dienstag einen Antrag auf Entlassung aus der Untersuchungshaft ab, wie CNN Türk berichtete.

Dündar und Gül werden unter anderem Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Spionage vorgeworfen. Hintergrund ist ein Bericht vom Sommer über angebliche Waffenlieferungen von der Türkei an Extremisten in Syrien. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte persönlich Strafanzeige gestellt.

Die Steuerprüfung wertete der Vorstandsvorsitzende der Zeitung, Akin Atalay, als politisch motiviert. „Es scheint, als hätten sie einen Jihad begonnen, bitte schön, wir warten“, schrieb er auf Twitter.

Kritiker werfen den türkischen Behörden vor, Steuerstrafen aus politischen Gründen zu verhängen. Die Dogan-Holding, die unter anderem die regierungskritische Zeitung „Hürriyet“ („Freiheit“) herausgibt, musste im Jahr 2009 Hunderte Millionen Euro Strafe zahlen.

Seit Monaten häufen sich auch die Anklagen wegen Beleidigung des Staatspräsidenten. CNN Türk berichtete, am Dienstag habe der Prozess gegen drei verantwortliche Redakteure der regierungskritischen Zeitung „Birgün“ („Ein Tag“) wegen Beleidigung Erdogans begonnen. Die Staatsanwaltschaft fordere bis zu vier Jahren Haft. Es gehe um die Ausgabe vom 17. Februar. „Birgün“ titelte damals: „Mörder und Dieb Erdogan“ - ein Slogan, der oft bei Demonstrationen gerufen wird.

Der Generalsekretär der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG), Christoph Deloire, bezeichnete den Haftbefehl gegen Dündar und Gül als „Unsinn“ und die Anschuldigungen als „Vorwand“. In einem am Dienstag in der „Cumhuriyet“ veröffentlichten Interview verglich Deloire die Türkei mit dem einstigen Partner Russland. Das Medienmodell in der Türkei gleiche immer mehr dem in Russland unter Präsident Wladimir Putin.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) urteilte am Dienstag in Straßburg, die türkische Regierung habe mit einer mehr als zweijährigen YouTube-Blockade gegen die Menschenrechtskonvention zur Informationsfreiheit verstoßen. „Eine Blockade der YouTube-Zugänge ohne rechtliche Grundlage hat das Recht zum Empfang und zur Verbreitung von Informationen verletzt“, stellten die Richter fest und gaben damit den Klagen dreier türkischer Rechtswissenschaftler gegen Ankara statt.

Ein Gericht in der türkischen Hauptstadt hatte von Mai 2008 bis Oktober 2010 den Zugang zu dem Online-Videoportal blockiert. Anlass waren etwa ein Dutzend Videos, die als Beleidigung des Gründervaters der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, gewertet worden waren

~ WEB http://www.echr.coe.int/echr/ ~ APA399 2015-12-01/14:59