Bruno Ganz als Almöhi in „Heidi“: „Ich bin manchmal auch trotzig“
Wien (APA) - Bruno Ganz kann auf eine über 50 Jahre andauernde internationale Schauspielkarriere zurückblicken. Nach Drehs mit zuletzt Ridle...
Wien (APA) - Bruno Ganz kann auf eine über 50 Jahre andauernde internationale Schauspielkarriere zurückblicken. Nach Drehs mit zuletzt Ridley Scott und Atom Egoyan hat es ihn nun zurück in seine Heimat verschlagen: In Alain Gsponers Neuverfilmung von „Heidi“, die am Dienstag in Wien Premiere feiert, gibt der 74-Jährige den Almöhi - weil er als Schweizer gar keine andere Wahl hatte, wie er im APA-Gespräch sagt.
APA: Der Produzent des Films, Reto Schaerli, meinte: „Wenn man in der Schweiz an den Öhi denkt, denkt man sehr schnell an Bruno Ganz.“ Haben Sie sich auch unweigerlich in dieser Rolle gesehen?
Bruno Ganz: Unweigerlich nicht, ich habe ein bisschen länger gebraucht, bis ich so etwas gedacht habe. Dass ich das spielen kann, war mir schon klar, aber ob ich das machen sollte, nicht. Dann wurde mir klar, dass ich da gar keine Wahl habe als Schweizer. Ich musste weg von dem, was man sonst so macht, von diesem Herumschnüffeln, wenn man als Schauspieler gefragt wird und sich fragt, ob das einen interessiert, so ein Remake. Auf einmal habe ich begriffen: Das ist ein nationaler Mythos, ich bin Schweizer und alt genug, also muss das gemacht werden.
APA: Menschen jedes Alters haben unterschiedliche Assoziationen mit der von Johanna Spyri erdachten und oft verfilmten „Heidi“. Was verbinden Sie mit der Geschichte?
Ganz: Ich kannte das natürlich, aber ich wusste nicht mehr, woher. Jedes Schweizer Kind - vielleicht heute nicht mehr, aber meiner Generation - weiß, was Heidi ist und worum es geht. Als ich wusste, dass ich das wirklich spiele, habe ich den 1952 gedrehten Schwarz-Weiß-Film gesehen, der ist sehr gut. Dann habe ich eine Serie gesehen, wo der Stoff auf 28 Folgen ausgewalzt wird, wobei ich die Hälfte davon mit zunehmendem Missvergnügen gesehen habe. Dann habe ich noch einen Film mit einem Großstar als Almöhi gesehen (vermutlich Max von Sydow in „Heidi“, 2005, Anm.), angesiedelt im schottischen Hochmoor. Der trug Reitstiefel bis an die Knie und eine superschöne, elegante Jacke und war immer im Bild und Heidi kam gar nicht vor. Da dachte ich mir: Das kann so nicht das Richtige sein. Bei dem, was ich als Original bezeichne - den ersten Schweizer Film - bin ich hängen geblieben, weil der wirklich gut ist.
APA: Wie haben Sie sich Heidis knurrigem, altem Großvater und seinem Leben auf der Alm angenähert?
Ganz: Man muss halt diese Tätigkeiten vorher lernen, das Melken, das Mähen, das Holzspalten. Das Andere begreift man vom ersten Tag an, an dem man raufkommt zum Set, zu dieser Almhütte, die als Wohnung vom Almöhi dient. Allein schon beim Aufstieg wird einem sehr schnell klar, unter was für Bedingungen die Leute da arbeiten und leben, das ist nicht lustig.
APA: Die Geschichte ist im 19. Jahrhundert angesiedelt. Was hat die Schweiz Ihrer Meinung nach heute noch von dieser Arm-und-Reich-Schere und dem engen Horizont von einst - gerade nach dem Rechtsruck bei der letzten Schweizer Parlamentswahl.
Ganz: Das kann man so interpretieren, das ist innerhalb der Schweiz etwas anders. In Deutschland zünden die Leute Asylheime an und in der Schweiz gibt es eine Partei, die das noch auffängt, wo die Leute ihren Unmut und ihre Angst und ihre Befürchtung entladen. Österreich geht damit um in gewisser Weise, auch nicht immer so toll. Das ist ein gesamteuropäisches Problem gegenüber den Flüchtlingsströmen. Die Enge ist eine andere Sache und ein Grund, warum ich die Schweiz für 40 Jahre verlassen habe. Aber inzwischen habe ich mich damit arrangiert. Bezüglich Arm und Reich ist es halt schon so: In dieser Höhe, wo man eigentlich nur im Sommer sein kann und wo nur Leute mit Kuh- und Ziegenherden sind, ist das immer noch so wie damals. Nur sind es jetzt nicht mehr nur Einheimische, sondern auch Deutsche mit akademischen Titeln, die man als Aussteiger bezeichnet. Die verbringen ihre Sommer da oben und hüten Ziegen.
APA: So ein Aussteigerdasein wäre also nichts für Sie?
Ganz: Ich bin nicht so ein Fan von Berg und Alm, ich hab genug davon gesehen. Diese Art von Abkehr von allem ist nicht mein Ding. Ich kann schon für mich sein, wenn ich will, aber das muss dann schnell gehen, damit es auch wieder aufhört. Hügel, Flüsse, Seen - das ist meins.
APA: Haben Sie im Laufe Ihrer Karriere je das Gefühl gehabt, das Heidi bei den wohlhabenden Sesemanns in Frankfurt so unglücklich macht: Eingegrenzt zu sein, ausbrechen zu wollen?
Ganz: Oh ja, und wie! Immer noch. Zum Beispiel an so Interviewtagen. Da gibt es so Momente, da frage ich mich, wieso stehe ich nicht einfach auf und gehe weg. Aber bitte, stellen Sie noch eine Frage (lacht).
APA: Das fällt jetzt ein bisschen schwerer.
Ganz: Nein nein, ich kenn das, ich bin manchmal auch trotzig.
APA: Sie meinten einmal, Sie seien als Kind „krankhaft schüchtern“ gewesen - also das genaue Gegenteil zur offenen, wilden Heidi, gespielt von Anuk Steffen...
Ganz: Ich weiß nicht mehr so recht, wie ich als Kind war, aber ich glaube nicht, dass ich durchwegs so offen und positiv und wach war. Da ist Anuk wirklich ein Ausnahmekind. Sie hat jetzt noch positiv erscheinende Gaben, wollen wir mal sehen, wie das in zehn Jahren ist, wenn sie versaut worden ist von irgendwelchen Jungs. Nein, nein, das Mädchen ist schon stabil, da habe ich keine Angst.
APA: Viele meinen, Kindern würde dieser Spieltrieb, diese Beschäftigung mit der Natur in unserer schnelllebigen Gesellschaft abhandenkommen. Teilen Sie diesen Eindruck?
Ganz: Das kann schon sein, aber Kinder haben ja die Möglichkeit. Manchmal sieht man Bilder aus Syrien, von Ruinen, und auf einmal bemerkt man, dass irgendwo im Hintergrund Kinder spielen, den extremsten Bedingungen zum Trotz. Die orientieren sich auch in solchen Situationen und kommen zum Miteinanderspielen. Deshalb kommt es mir schematisch vor, zu sagen, ein Kind, das heute in der Stadt aufwächst und nicht auf die Alm kann, ist verloren, hat keine Jugend. Das glaube ich nicht.
APA: Ich möchte zum Abschluss auf Luc Bondy zu sprechen kommen, mit dem Sie schon in den 80er-Jahren an der Berliner Schaubühne zusammen gearbeitet haben. Als Sie dem Theater schon abgeschworen hatten, sind Sie 2012 für seine Inszenierung von Harold Pinters „Le Heimkehr“ am Pariser Odeon-Theater auf die Bühne zurückgekehrt. Was hat ihn als Regisseur ausgemacht?
Ganz: Es war nicht nur der Regisseur Luc Bondy. Er war ein sehr besonderer Mensch, eine Art gesegnetes Kind mit enormen Gaben. Er war etwas wie ein schillernder Schmetterling, ein extrem intelligenter, fantasiebegabter Mensch mit einer unglaublich scharfen und schnellen Auffassungsgabe, der sehr schnell alles kapierte über andere Menschen, die er unglaublich gut nachahmen konnte, und der nie verletzend war, egal wie kritisch oder negativ er etwas gesehen hat. Und er war ein großer Verführer, ein sehr sinnlicher, dem Leben zugewandter Mensch, was gekoppelt war mit diesen unzähligen Krankheitsgeschichten, die er von Jugend an hatte. Er hat zwei oder drei Krebse überwunden und gekämpft um sein Leben, so tapfer, wie ich das noch bei niemandem gesehen habe. Manchmal, glaube ich, hatte er Angst, nachts die Augen zu schließen und einzuschlafen, weil er immer dachte, er würde morgens nicht mehr aufwachen, so süchtig und so verzweifelt gern hat er gelebt. Jetzt ist er wirklich nicht mehr aufgewacht. Das ist traurig.
(Das Gespräch führte Angelika Prawda/APA.)
(S E R V I C E - „Heidi“ startet am 11. Dezember in den österreichischen Kinos. www.heidi.studiocanal.de)
(A V I S O - Die APA wird am Freitag, 4. Dezember, eine ausführliche Filmkritik versenden.)