Peter Stein: „Mich interessieren Aktualitätsgeschichten nicht“ 1

Wien (APA) - Am 13. Dezember hebt sich in der Wiener Staatsoper das erste Mal überhaupt der Vorhang für Leos Janaceks „Vec Makropulos“. Es w...

Wien (APA) - Am 13. Dezember hebt sich in der Wiener Staatsoper das erste Mal überhaupt der Vorhang für Leos Janaceks „Vec Makropulos“. Es wird die erste Premiere von Regielegende Peter Stein am Haus sein, zählt man die „Simon Boccanegra“-Übernahme von den Salzburger Osterfestspielen nicht mit. Die APA sprach mit dem 78-Jährigen über die Angst vor dem Tod, seine Neigung zu Janacek und Europas rechten Schoß.

APA: „Vec Makropulos“ wird Ihre erste Janacek-Oper sein...

Peter Stein: Leider. Ich hatte schon einen erfolglosen Versuch für eine „Jenufa“ an der Met gemacht. Und dann hatte ich schon einen Vertrag in Lyon für „Totenhaus“ unterschrieben - meine Lieblingsoper. Da waren schon Bühnenbild und Kostüme fixiert, und dann hat Intendant Serge Dorny den Vertrag gekillt. Ich habe zwar ein Drittel der Gage bekommen, aber das hat mir sehr leidgetan. Es ist jetzt „Makropulos“ geworden, und ich bin darüber sehr froh. Ich habe die Oper mittlerweile sehr schätzen gelernt. Es ist wie ein in Musik gesetztes Theaterstück. Ich hoffe, dass das nicht mein letzter Janacek ist.

APA: Wo ordnen Sie in Ihrem persönlichen Kosmos Janacek ein?

Stein: Alle seine Opern sind für einen Theaterregisseur sehr attraktiv, weil man schauspielernde Sänger braucht. Das ist anders als bei Verdi, wo jede Emotion dreimal überzuckert wird. Bei Janacek ist das nicht der Fall. Das ist fast wie ein Rezitativ mit Orchestereffekten, die teils ganz schwierig zu entziffern sind. Das hat sich als sehr interessant herausgestellt, zumal ich hier von der Besetzung sehr verwöhnt bin.

APA: Hatten Sie ein Mitspracherecht bei der Auswahl?

Stein: Insofern, dass mir alle Besetzungen mitgeteilt wurden und ich dazu meinen Senf abgegeben habe. Die letztendliche Entscheidung ist aber natürlich schwierig bei Repertoirehäusern. Da muss man sich an die Erfordernisse anpassen. Das war einstmals mein Konflikt mit Ioan Holender (früherer Staatsopern-Direktor, Anm.). Ich hatte schon einen Vertrag, aber da wurden Besetzungen mehrfach geändert, ohne mich zu informieren. Da bin ich von mir aus ausgestiegen.

APA: Ihr Ziel ist immer höchste Verständlichkeit des Schauspiels, möglichst auch ohne Übertitel. Ist das bei einer Konversationsoper auf Tschechisch, einer Sprache, die Sie nicht sprechen, nicht hart?

Stein: Anfangs war das schwierig. Aber rührenderweise hat sich einer der Assistenten hinter mich gesetzt und mir den Text simultan ins Ohr gesprochen hat. Mittlerweile brauche ich das nicht. Es ist ja auch so, dass die Sänger nicht wissen, was sie singen und dankbar sind, wenn man ihnen etwas erklärt. Die Personenregie ist da also eine leichte Übung - man hat einfach viel Erfolg. Und im Grunde genommen bin ich das ja gewohnt. Ich habe schon drei Theaterinszenierungen und eine Oper auf Russisch gemacht - und spreche kein Russisch.

APA: Sind für Sie Inszenierungen in Originalsprache unabdingbare Voraussetzung?

Stein: Grundsätzlich sage ich niemals nie. Aber die Verbindung der Musik mit dem Text ist zentral. „Nozze di Figaro“ auf Deutsch zu machen, das geht überhaupt nicht. Da tut man der Musik eine solche Gewalt an. Insofern bin ich grundsätzlich mit der Originalsprache einverstanden. Andererseits habe ich mir hier jetzt die „Elektra“ angeschaut und ein einziges Wort verstanden: „Mutter“! Insofern kann man sagen: Es ist eh wurscht. Das nehmen dann viele heutige Regisseure als Entschuldigung, etwas auf der Bühne zu machen, was nichts mit dem Text zu tun hat.

APA: Ist für Sie die Emilia als Frau, die sich mit Wundermitteln gegen das Sterben wehrt, eine moderne Figur?

Stein: Die Dame ist 350 Jahre alt und dementsprechend von vorgestern. Aber das Thema, das dort behandelt wird, ist die Frage des Sterbens. Und da kann man nur sagen: Wenn die 1922 gewusst hätten, wie aktuell das ist, das sie da verhackstücken! Aber mich interessieren Aktualitätsgeschichten überhaupt nicht. Die Geschichte, dass wir sterben müssen und das etwas Gutes ist, ist so alt wie das Theater. Die Basisproblematik der menschlichen Existenz ist, dass man zum Tode geboren wird. Vom Standpunkt der Effizienz her ist das ein Schwachsinn. Wenn man zum Sterben geboren wird, kann man es auch gleich bleiben lassen.