Peter Stein 2 - „Ich fühle mich vollständig überflüssig im Leben“
Wien (APA) - APA: Ist die Angst vor dem Tod für Sie persönlich ein Thema?...
Wien (APA) - APA: Ist die Angst vor dem Tod für Sie persönlich ein Thema?
Peter Stein: Notwendigerweise. Ich habe mich aber sehr lange davor gedrückt. Ich war zum Beispiel niemals auf Beerdigungen. Ich fand das - wie es sich für Spätpubertäre gehört - überflüssig. Tot ist tot, und Schnaps ist Schnaps. Das hat sich dann geändert, als meine Eltern und mein Bruder starben. Da war ich Gott sei Dank reifer, und ich habe diese Lektion gelernt. Jetzt wird es immer schlimmer. Mittlerweile ist das ein Zentralthema für mich - gerade jetzt, da mein Freund Luc Bondy gestorben ist. Es ist so, dass ich mich vollständig überflüssig fühle im Leben. Das fing schon mit Klaus Michael Grüber an (der 2008 verstarb, Anm.) - mein zweiter großer Freund, was ja sehr selten im Regieberuf ist. Beide sind nun abgetreten, und dabei war Luc elf Jahre jünger als ich! Ich habe all das gemacht, was ich machen konnte und in meinem Rahmen den Erfolg abstauben können, der mir möglich ist. Mehr ist halt nicht drin! Dementsprechend ist es eigentlich vollkommen überflüssig. Das ist schon längere Zeit für mich so. Seit dem Tod meiner Mutter ist es so, dass ich nicht nur Angst vor ihm habe, sondern ihn in gewissem Sinne als erstrebenswertes Ziel betrachte. Aber so lange das nicht der Fall ist, ist es in Ordnung. Man kann immer noch neue Dinge erleben und erfahren. Aber neue Dinge machen oder gestalten - das glaube ich eigentlich nicht. Ich mach halt meinen Stiefel weiter. Da kann ich eine ganze Menge an Handwerkszeug anbieten.
APA: Gilt das auch für gesellschaftspolitisches Engagement?
Stein: Ich habe grundsätzlich, also menschlich, sozial und politisch, einen Background, den viele Menschen eben nicht mehr haben, weil sie später geboren sind. Zum Beispiel die Kriegserfahrung, was dazu führt, dass ich all die Dinge, die jetzt geschehen, nicht ganz so dramatisch nehmen kann wie jüngere Leute. Ich habe gesehen, wie es aussah in Berlin 1945. Es sieht dort im Augenblick wesentlich besser aus, was auch für Wien gilt. 1945 kamen nach Deutschland 12 Millionen Flüchtlinge und in der nächsten Welle noch mal 5 Millionen! Und das wurde natürlich verdaut! Und jetzt wird ein Riesenhepp gemacht, weil die Leute Angst haben. Das ist doch einfach lächerlich! Dasselbe gilt für alle Grausamkeiten: Paris ist schrecklich oder 9/11. Aber lieber Gott: Was ist das im Vergleich mit ‚45? Ein Witz, ein Klacks, etwas das wir auszuhalten haben, das wir zu erdulden haben in unseren Gesellschaften. Wenn wir diese offenen Gesellschaften haben, muss man damit rechnen, dass Verrückte durchdrehen und machen was sie wollen.
APA: Ist Ihre Konsequenz, sich als Intellektueller aus dem Diskurs herauszuhalten?
Stein: Überhaupt nicht! Wie kommen Sie denn darauf?! Etwas anderes ist es, was ich auf der Bühne mache. Ich mache da doch nicht irgendwelche Aktualisierungen, die ich dann sofort wieder ändern muss, wenn die Nachrichtensender ihre Themen ändern. Ich mache mich doch nicht von irgendeinem „Tagesschau“-Sprecher abhängig! Meine Basiserfahrung war der schwachsinnige Brecht, der mit „Leben des Galilei“ ein ganz aktuelles Stück schrieb unter dem Motto: Der technische Fortschritt nutzt der Arbeiterklasse. Bums, fiel die Atombombe für die kapitalistischen Amis und dementsprechend musste er sein Stück umschreiben. Ich möchte meine Inszenierung nicht umschreiben müssen. Was wir auf der Bühne gestalten, muss grundsätzliche Fragen behandeln. Man kann der Zeit nicht den Spiegel vorhalten, indem die „Tagesschau“ auf der Bühne wiederholt wird. Beim Spiegel sieht man bekannterweise ja alles falsch herum.
APA: Kann die EU an der Flüchtlingssituation zerbrechen?
Stein: Die Gefahr existiert und hat die ganze Zeit existiert. Aber es gibt auch andere Kräfte, die man nicht aus dem Auge verlieren und in Panik verfallen darf. Natürlich kann man in der jetzigen Situation, in der Tausende Menschen nach Europa streben, nicht untätig bleiben. Selbstverständlich muss man da Maßnahmen ergreifen und kann nicht sagen: Kommt alle. Natürlich geht das nicht. Aber nicht zu sagen „Kommt her“ geht auch nicht. Sonst ist man jemand, der sich mit den grundsätzlichen Werten unserer Kultur nicht mehr identisch erklärt. Sonst geht man in die rechte Ecke. Der Schoß, aus dem alles Mögliche kriechen kann, ist derzeit derart offen in Europa! Dagegen muss man heftig kämpfen. Man muss konkrete Antworten auf die Probleme liefern, was auch zu Maßnahmen führen kann, die bitter sind.
APA: Gibt Bundeskanzlerin Merkel diese Antworten?
Stein: Merkel gibt die Antworten, von denen sie im Augenblick glaubt, dass sie richtig sind. Das ist ein Verhalten, das ist gar nicht so schlecht. Aber es gibt Momente, in denen man Flagge zeigen muss, auch auf die Gefahr hin, dass man weggespült wird. Die deutsche Politik wie ich vom Ausland aus zu beobachten, ist interessant. Da eindeutige Positionen zu beziehen, ist sehr schwer. Das wechselt wie das Aprilwetter. Je älter man wird, desto mehr berücksichtigt man das, was man erlebt hat. Das bewirkt bei mir keine Verhärtung von Positionen, sondern eine Relativierung.
(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)
(S E R V I C E - „Vec Makropulos“ von Leos Janacek in der Staatsoper, Opernring 2, 1010 Wien. Dirigent: Jakub Hrusa, Regie: Peter Stein, Bühnenbild: Ferdinand Wögerbauer. Mit Laura Aikin/Emilia Marty, Rainer Trost/Albert Gregor, Margarita Gritskova/Krista, Markus Marquardt/Jaroslav Prus, Carlos Osuna/Janek Prus, Wolfgang Bankl/Dr. Kolenaty, Heinz Zednik/Hauk-Sendorf, Thomas Ebenstein/Vitek, Marcus Pelz/Maschinist, Aura Twarowska/Aufräumerin und Ilseyar Khayrullova/Kammermädchen. Premiere am 13. Dezember. Weitere Aufführungen am 15., 18., 20. und 23. Dezember. http://go.apa.at/a1zKS9nY)