Performance gegen Rechts: Debatte um die Freiheit der Kunst
Stuttgart/Mainz (APA/dpa) - Kann denn Singen Sünde sein? Die Ermittlungen gegen das Ensemble des Staatstheaters Mainz nach ihrem Gesangsprot...
Stuttgart/Mainz (APA/dpa) - Kann denn Singen Sünde sein? Die Ermittlungen gegen das Ensemble des Staatstheaters Mainz nach ihrem Gesangsprotest gegen eine Demo der rechtsgerichteten AfD haben die deutsche Kunstwelt aufgeschreckt. Wie weit darf künstlerischer Protest gehen? Wann und womit machen Künstler sich strafbar?
Professor Bodo Pieroth, Demonstrationsrechtsexperte der Universität Münster, sieht eine klare Grenze: Kreatives Protestieren geht, Stören nicht. Auf der einen Seite stehe das Demonstrationsrecht, auf der anderen die Kunstfreiheit. Beides seien „gleichrangige Grundrechte“. Und beide gelte es zu schützen.
Beispiel Mainz: Hier sangen Ende November Ensemble-Mitglieder des Staatstheaters die Europahymne „Ode an die Freude“ samt der Zeile „Alle Menschen werden Brüder“ so laut, dass eine Kundgebung der rechtskonservativen AfD gestört wurde. Wer so etwas tut, macht sich strafbar. Es setzte eine Anzeige der Polizei, so Sprecher Peter Metzdorf: „Da haben wir gar keinen Handlungsspielraum.“
Auch Experte Pieroth sieht in dem Mainzer Protest eine Grenze überschritten. Der Jurist formuliert es so: „Problematisch wird es dann, wenn die Grundrechtsausübung verhindert wird.“ Beim Theater war man dennoch überrascht: „Wir waren nicht aggressiv, wir haben Beethoven gesungen“, sagte eine Sprecherin.
Beispiel Stuttgart: Nicht gegen Asylpolitik, sondern gegen die von der grün-roten Landesregierung propagierte Gleichstellung von Homo- und Heterosexuellen zogen mehrmals einige Tausend Menschen durch Stuttgart. Ihre ultrakonservative „Demo für alle“, ebenfalls mit AfD-Unterstützung, endet stets vor der Oper. Am 11. Oktober ließen Künstler und Mitarbeiter der Württembergischen Staatstheater ein riesiges Regenbogen-Banner mit der Aufschrift „VIELFALT“ vom Dach.
Experte Pieroth sieht darin im Gegensatz zu Mainz kein Problem: „Durch ein Plakat, das einem nicht gefällt, wird die Versammlung ja nicht unmöglich gemacht.“ Mehrere CDU-Abgeordnete des Landtags ärgerten sich dennoch. Sie warnten die grün-rote Landesregierung vor einer „Instrumentalisierung der Staatstheater“ und forderten sie auf, „die Neutralität der Staatstheater in politischen Fragen zu gewährleisten“. Landeskunstministerin Theresia Bauer (Grüne) twitterte, die Aktion sei Kunst und stehe unter dem Schutz des Grundgesetzes.
Beispiel Dresden: „Licht aus“ heißt es, wann immer möglich, an der berühmten Semperoper, wenn die islam- und fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung sie montagabends als Kulisse nutzt. Wochenlang sendete die Oper auf einem riesigen Bildschirm Botschaften gegen Intoleranz. Die Aufschrift „Wir sind kein Bühnenbild für Fremdenhass“ leuchtete im Wechsel mit dem Satz „Wir sind keine Kulisse für Intoleranz“ auf. Experte Pieroth stellt dazu fest: „Keine Demonstration hat ein Recht darauf, von allen Seiten beschienen zu werden.“
Kreativ zeigen sich Kulturschaffende diesbezüglich auch anderswo: Schauspieler des Theaters Altenburg-Gera etwa spielten neulich auf dem Balkon Szenen aus Charlie Chaplins „Der große Diktator“, als das fremdenfeindliche Thügida-Bündnis vorbeizog.
Der Leiter der Theaterfabrik Gera, Peter Przetak, mischte sich als Kunstfigur „Alice“ - mit rotem Kleid, langem Ledermantel und Uniformmütze - unter Demonstranten des Bündnisses „Wir lieben Gera“, um sie mit ihren Vorurteilen zu konfrontieren und fremdenfeindliche Einstellungen zu hinterfragen. „Reine Provokation“, räumte er ein.
Schon im April spielte in Braunschweig zunächst eine Trommelgruppe gegen einen Aufmarsch des Pegida-Ablegers Bragida an. Als die Polizei eingriff, schallte Bragida die „Ode“ vom Theaterbalkon entgegen, aus 200 Kehlen. Am vergangenen Sonntag sangen rund 40 Ensemblemitglieder und Mitarbeiter des Schauspiels Hannover gegen den Parteitag der AfD an. Die Befürchtung, deshalb eine Anzeige zu bekommen, habe man nicht gehabt, sagte eine Sprecherin des Theaters. Man habe auch ein Zeichen der Solidarität für Mainz setzen wollen.