Um Demokratie besorgte Polen machen gegen Regierung mobil

Warschau (APA) - Gerade zwei Wochen ist es her, dass Mateusz Kijowski auf seiner Facebook-Seite eine Idee in den Raum stellte: Gleichgesinnt...

Warschau (APA) - Gerade zwei Wochen ist es her, dass Mateusz Kijowski auf seiner Facebook-Seite eine Idee in den Raum stellte: Gleichgesinnte sollten sich zur außerparlamentarischen Opposition gegen die neue Regierung formieren. Heute hat seine Internet-Gruppe „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“, kurz KOD, bereits 39.700 Mitglieder.

Der 48-Jährige ist auch im Winter auf dem Motorrad unterwegs, neongelb prangt „Polska“ (Polen) auf der Schutzweste über seiner Lederjacke. Die vergangenen Tage habe das Leben von Mateusz Kijowski auf den Kopf gestellt: Er hat seine Arbeitsstelle als Informatiker aufgegeben und widmet sich ganz der Politik. „Am gefährlichsten ist der Anschlag der Regierung auf die Justiz, den wir erleben“, sagt er über die neue Regierung.

Damit spricht Kijowski den Versuch der rechtskonservativen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) an, mehr Einfluss auf das Verfassungsgericht zu gewinnen. Ein eilig beschlossenes Gesetz hob die Wahl von fünf neuen Richtern - noch durch das vorige Parlament - auf. Am Mittwoch wählte der Sejm fünf andere Juristen, Staatspräsident Andrzej Duda vereidigte vier von ihnen am Donnerstagmorgen. Davon hielt den promovierten Juristen auch ein Appell seiner Heimatuniversität in Krakau nicht ab. Der Rat der Juristischen Fakultät hatte Duda gebeten, „das Gesetz und die bürgerlichen Freiheiten“ zu achten und kommende Entscheidungen des Verfassungsgerichts abzuwarten.

Damit nicht genug: Justizminister Zbigniew Ziobro kündigte am Mittwoch ein Disziplinarverfahren gegen den Vorsitzenden des Gerichts Andrzej Rzepolinski an, weil er das Vorgehen der PiS kritisiert hatte. Rzeplinski solle sein Richteramt aufgeben, verlangte Ziobro.

Kijowski kennt viele Aktivisten seines Projekts noch gar nicht, zu schnell wuchs das Netzwerk. Auf einem kleinen Platz in Warschau, eingekeilt zwischen Hochhäusern, steht Agnieszka Sylwestrzak. Die zierliche Frau hat auf Brust und Rücken Plakate geschnallt - es ist ihre erste politische Aktion überhaupt. „Wer in Geschichtsbüchern nachliest, wie verschiedene Diktaturen oder sogar totalitäre Staaten ihren Anfang genommen haben, der fühlt sich sehr beunruhigt“, sagt sie über die Lage in Polen.

Mateusz Kijowski schreckt auch vor noch extremeren Formulierungen nicht zurück, er vergleicht die Vorgänge in Polen mit den Anfängen des Nationalsozialismus in den 1920er-Jahren in Deutschland: „Der Ausgangspunkt ist ähnlich, eine sozialistische Herangehensweise, ein Fürsorge-Staat, und auf der anderen Seite eine nationale Rhetorik, der zufolge wir unsere Souveränität, unsere Identität verteidigen müssen - und jeder, der anders denkt, böse ist“.

Ein Flugblatt bekommt von Agnieszka Sylwestrzak - auch sie ist Informatikerin - nur, wer zumindest einen interessierten Blick auf ihre Plakate wirft. Das ist höchstens jeder 30. Passant, manche schütteln missbilligend den Kopf. Die Frau hat bei der Arbeit auch einige Dutzend junge Kollegen gefragt, ob sie nicht mitmachen wollten - ohne Erfolg. „Den Leuten ging es einfach zu gut in den vergangenen Jahren“, meint sie, sie bemühten sich gar nicht mehr um einen klaren Standpunkt gegenüber der Regierung.

Das will das „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“ ändern. Am heutigen Donnerstag soll der Protest aus der virtuellen in die reale Welt kommen - eine Demonstration vor dem Verfassungsgericht ist geplant. Die Richter befinden über das Gesetz zum Verfassungsgericht, das noch vom vorigen Parlament beschlossen und von der PiS schon aufgehoben wurde. Die Richter werden es sehr wahrscheinlich nur in Teilen verwerfen. In wenigen Tagen urteilen sie dann über das neue Gesetz der PiS. Dann dürfte der Krieg zwischen Regierung und Verfassungsgericht noch einmal eskalieren.