Irmgard Griss: „Parallelgesellschaft nicht dulden“
Irmgard Griss möchte Bundespräsidentin werden. Bis Weihnachten wird die Ex-Höchstrichterin über ihre Kandidatur entscheiden. Das Aufenthaltsrecht in Österreich will sie an Bedingungen knüpfen.
Von Cornelia Ritzer
Wien –Vor rund einem Jahr, am 2. Dezember 2014, ist Irmgard Griss auf der innenpolitischen Bühne erschienen. Die Untersuchungskommission rund um die Vorgänge der Skandalbank Hypo Alpe Adria, deren Leiterin sie war, wurde lange belächelt – das Gremium diene als Feigenblatt, hieß es damals. Als die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofes dann vor einem Jahr statt des befürchteten zahnlosen Berichts eine fundierte Analyse präsentierte, wurde sie hochgelobt. Rasch wurde die kompetente Ex-Richterin als geeignete Kandidatin für das höchste Amt im Staat gehandelt.
Lange hat Griss Ambitionen, Bundespräsidentin werden zu wollen, zurückgewiesen. „Ich dachte, das vergeht“, erzählte sie in der TT-Lounge, angesprochen auf das Interesse an ihrer Person. Doch es kam anders. „Viele Mails“ habe sie bekommen, und das hörte nicht auf, so die 69-Jährige im Gespräch mit TT-Chefredakteur Mario Zenhäusern und Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol, und Anfang September habe sich der Gedanke dann verdichtet. „Steht’s dafür?“, habe sie sich gefragt. Und schließlich habe sie entschieden: „Es ist eine Erfahrung und die Begegnung mit Menschen eine Bereicherung. Es lohnt den Versuch.“
Schon als OGH-Präsidentin – sie war die erste in Österreich – habe sie Sachen angepackt und geändert, die sie gestört haben. Das würde sie auch als Bundespräsidentin so halten. Sie sieht das Amt als „moralisches Gewissen, als Kompass, der die Richtung vorgibt“, meinte sie. Und dabei wolle sie als unabhängige Kandidatin, die keiner Partei nahesteht, Probleme direkt ansprechen und etwas bewegen: „Wir müssen vom Wegschauen wegkommen und uns mit Themen auseinandersetzen, nicht abschotten.“ Ihren „sachlichen Stil“ will sie dabei beibehalten, betonte sie. Dazu gehöre auch, die Ideen eines politischen Gegenübers nicht reflexartig abzulehnen. „Wir erleben seit einiger Zeit, dass kein Diskurs möglich ist. Wenn der eine A sagt, sagt der andere B.“ Dieses Verhalten führe zur „Spaltung der Gesellschaft“. Und hier, ist Griss überzeugt, habe der Bundespräsident eine „Chance, etwas zu bewirken“. Zum Beispiel könne man aus der Hofburg positiv auf die Regierung einwirken und dieser „ins Gewissen reden“. „Das wird eine Anstrengung bei den Parteien auslösen“, ist sie überzeugt.
Die FPÖ hat bereits Sympathien für die Steirerin geäußert, sie selbst will die Freiheitlichen „behandeln wie alle anderen Parteien“. Aber sie lehnt „Sprachverrohung und Populismus ab“. Manchen Sager der FPÖ solle man lieber „totschweigen“, meinte sie außerdem. „Dann würde der Partei niemand den Dienst erweisen, den Fokus darauf zu legen und damit die angestrebte Aufmerksamkeit zu verschaffen.“ Außerdem agierten die Parteien, findet sie, zu oft „angstbestimmt“. Eine Sache, die sie schon als Hypo-Kommissionschefin kritisierte, ist das Schielen der Politik nach Umfragen: „Das lenkt von den Sachfragen ab.“
Die derzeitige Situation in Österreich, dass derart viele Flüchtlinge um Asyl ansuchen, sieht Griss als „größte Herausforderung überhaupt“. Sie plädiert dafür, das Aufenthaltsrecht in Österreich an Bedingungen zu knüpfen. „Ich bin dafür, dass sich die Menschen integrieren, Parallelgesellschaften sind nicht zu dulden.“ Auch solle man an die Verantwortung der Menschen appellieren: „Wenn man ihnen alles einfach so gibt, nimmt man ihnen etwas.“
Einer Obergrenze bei der Migration kann Griss durchaus etwas abgewinnen, man müsse aber genau unterscheiden zwischen Flüchtlingen nach der Genfer Konvention und Zuwanderern. „Unser Fehler ist, dass wir Asyl als Weg sehen, um zu einer Einwanderungsgesellschaft zu werden“, sagte sie. Bei der Zuwanderung brauche es deshalb Obergrenzen, bei Asyl jedoch nicht.
Eine weitere große Aufgabe sei, wie mit der Terrorgefahr umgegangen wird. „Wir haben in Österreich auch Jugendliche, die sich von der Ideologie des IS angezogen fühlen.“ Nicht nur deshalb befürwortet sie „Kritisches Denken“ als Unterrichtsfach. Die Idee der Innenministerin, die Möglichkeit eines Ausnahmezustands zu prüfen, will sie nicht reflexhaft ablehnen, denn: „Man muss die rechtliche Basis dafür schaffen, im Notfall etwas zu unternehmen.“ Aber: „Ich finde es nicht klug, gleich mit der schärfsten Waffe zu argumentieren. Das verunsichert und dafür gibt es jetzt keinen Bedarf.“
Eine Wahlkampagne wie die anderen Parteien werde sie nicht führen können, ist sich Griss bewusst. Derzeit bekomme sie zustimmende Mails, wird von Unterstützern auf der Straße angesprochen, hat viele junge Leute im Team, die (noch) auf ehrenamtlicher Basis Organisatorisches erledigen – und bekommt auch Geld. Ein eigenes Konto für die Spenden ist seit 1. Dezember eingerichtet. Und weil sie weiterhin unabhängig bleiben will, werden die Spenden transparent gemacht. „Es wird alles offengelegt. Was spricht dagegen?“, fragte die Neo-Politikerin. Zwei bis drei Millionen Euro brauche man für einen Wahlkampf, wurde ihr gesagt, doch: „Wir kommen mit weniger durch. Es ist viel Idealismus dabei.“
6000 Unterschriften braucht Griss für eine Kandidatur, schon in den ersten Wochen, in denen ihre Homepage www.irmgardgriss.at online war, haben „einige Hundert“ sich auf der Website eingetragen, die etwas beitragen wollen. Und wann wird sie endgültig über ein Antreten für die Wahl, die Ende April abgehalten wird, entscheiden? „Auf jeden Fall vor Weihnachten, wenn die Finanzierung steht“, versprach sie. Mit dem Nachsatz: „Und ich hoffe, ich kann sagen, dass es geht!“
Zur Person Irmgard Griss
Die Steirerin Irmgard Griss (geboren 1946) war bis 2011 die erste Präsidentin des Obersten Gerichtshofes (OGH). Die Zivilrechtlerin war nach dem Jus-Studium ein Jahr an der Harvard Law School, legte die Anwaltsprüfung ab und wurde dann Richterin. Vom früheren Finanzminister Spindelegger (ÖVP) wurde sie im März 2014 als Leiterin einer unpolitischen Hypo-Untersuchungskommission ernannt. Im Dezember legte sie ihren Bericht vor und kam unter anderem zum Ergebnis, dass die Verstaatlichung „nicht alternativlos“ war. Rasch wurde Griss als Bundespräsidentschaftskandidatin gehandelt. Die FPÖ zeigte ebenso schnell Gefallen daran.