Keine Vorwürfe Richtung Westen - Putin konzentriert sich auf Russland

Moskau (APA/dpa) - Seit 16 Jahren führt Wladimir Putin Russland, zum 12. Mal hat er seine Rede an die Nation gehalten - deshalb fiel den rus...

Moskau (APA/dpa) - Seit 16 Jahren führt Wladimir Putin Russland, zum 12. Mal hat er seine Rede an die Nation gehalten - deshalb fiel den russischen Medien sofort auf, welche Stichworte diesmal fehlten. „Zur Ukraine hat Putin kein Wort gesagt“, vermerkte der Live-Ticker der regierungskritischen „Nowaja Gaseta“ zum Ende der einstündigen Ansprache. Auch die Krim kam am Donnerstag nur am Rande vor.

Vorwürfe gegen den Westen blieben aus, der stolze Verweis auf das Wiedererstarken Russlands fehlte. Es war ein Kontrast zur auftrumpfenden Rede vor einem Jahr, als Putin die „sakrale Bedeutung“ der unlängst annektierten ukrainischen Halbinsel Krim unterstrich. Als er mitten im Ukraine-Konflikt dem Westen vorwarf, er habe Russland unterwerfen wollen.

Die neue Rede stand symbolhaft auch dafür, dass Russland - ungeachtet seiner außenpolitischen Kommandounternehmen - sich eher auf sich selbst zurückzieht. Innenpolitik, Feinheiten des Rechtssystems und Wirtschaft nahmen diesmal bei Putin mehr Raum ein - auch wenn die Lage oft anders aussieht als vom festlichen Georgs-Saal des Kremls aus.

Natürlich verpasste Putin die Gelegenheit nicht, die wiederentdeckte Feindschaft zur Türkei anzuheizen. Allah habe „die regierende Clique in der Türkei“ um den Verstand gebracht, als sie einen russischen Kampfjet abschießen ließ, höhnte Putin. Er deutete an, dass Moskau die Strafmaßnahmen nicht beim Importverbot für türkische Tomaten und anderes Gemüse belassen werde.

Über die Jahrhunderte sind Russland und die Türkei nur für kurze Phasen befreundet gewesen - zwischen den Weltkriegen und in den vergangenen Jahren. Für beide ist der bilaterale Handel wichtig.

Doch seit dem Abschuss haben Putin und sein Apparat radikal umgestellt: Binnen zehn Tagen ist aus der befreundeten Türkei ein Feindesland geworden, in dem russische Touristen nichts verloren haben.

Erwartbar war Putins Aufruf, die Korruption zu bekämpfen, für Transparenz bei Geschäften des Staates und beim Einkommen ranghoher Beamter zu sorgen. Das musste sich, gedrängt zwischen den anderen Würdenträgern sitzend, auch Generalstaatsanwalt Juri Tschaika anhören. Der Anti-Korruptionskämpfer Alexej Nawalny hat dieser Tage eine Recherche veröffentlicht, wie Tschaikas Sohn und andere Leute aus seinem Umfeld Hotelbesitzer in Griechenland geworden sind.

Tschaika sprach am Donnerstag von Lügen, von einer bezahlten Kampagne. Die Moskauer Zeitungen stiegen zögerlich auf das Material ein. Die Recherche sei allerdings gut dokumentiert, schrieb das Wirtschaftsblatt „Wedomosti“. Tschaika kontrolliert seit 1999 für Putin die russische Strafverfolgung.

Der Präsident forderte, Unternehmer vom Übermaß staatlicher Kontrolle, von aussichtslosen Anzeigen wegen Wirtschaftsstraftaten zu befreien. Der Steuerrahmen für Firmen solle verlässlich sein. Gleichzeitig fahren aus dem Land Tausende Lastwagenfahrer auf Moskau zu, um gegen eine neue Straßenmaut zu protestieren. Die meisten von ihnen sind selbstständige Kleinunternehmer mit ein, zwei Lkws - genau der Mittelstand, den Russland eigentlich bräuchte.

Der Präsident erwähnte die Fernfahrer mit keinem Wort. Doch gegen solche spontanen sozialen Proteste hat der Kreml, der sonst die Gesellschaft kontrolliert, kaum ein Mittel. Das Parlament will aber noch in dieser Woche die drastischen Strafen für Mautverweigerer senken.

Wenige Stunden vor dem Auftritt war Putin noch zu einem Blitzbesuch auf die Krim geflogen. Dort herrscht seit Tagen Strommangel, weil ukrainische Aktivisten und Krimtataren die Zuleitungen vom Festland gesprengt haben. Die Kiewer Führung lässt den Schaden nur langsam reparieren, was nicht zu ihrem Ansehen bei den Krim-Bewohnern beiträgt. Doch auch Russland hat in eineinhalb Jahren Herrschaft über die Halbinsel noch keine eigene Stromversorgung geschaffen. Putin wollte vor seiner Rede wenigstens dabei sein, wenn die erste Leitung in Betrieb geht.