Literatur

Schritt für Schritt auf der Fährte in die Katastrophe

S. Corinna Bille (1912–1979) debütierte 1944 mit „Théoda“. Für den Roman „La Demoiselle sauvage“ erhielt sie 1975 den Prix Goncourt.

Die Neuauflage ihres 1952 erstveröffentlichten Romans „Venusschuh“ lädt zur Wiederentdeckung der Schweizer Erzählerin S. Corinna Bille ein.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –Fragt man nach bedeutenden Schweizer Autoren aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, fällt die Antwort leicht: Frisch natürlich, Dürrenmatt, Muschgg vielleicht, eventuell noch Urs Widmer. Der Name S. Corinna Bille fällt in diesem Zusammenhang zumeist nicht. Was natürlich auch daran liegen mag, dass Bille, geboren 1912 in Lausanne und 67 Jahre später in Sierre im Wallis gestorben, als französischsprachige Schriftstellerin unter dem Radar eines auf die Deutschschweiz gepolten Blicks flog. Doch auch in der Romandie ist Billes Stern seit ihrem Tod 1979 etwas verblasst. Oder besser gesagt: S. Corinna Bille ist eine Autorin, die in verblüffend regelmäßigen Abständen als Wiederentdeckung gefeiert wird. Zuletzt 2012, als an den hundertsten Geburtstag Billes erinnert wurde. Im Dunstkreis dieses Jubiläums begann der Zürcher Rotbuchverlag ausgewählte Werke der Schriftstellerin in deutscher Übersetzung neu aufzulegen. Zuletzt erschienen „Théoda“, Billes Debüt von 1944, und – vor wenigen Wochen – „Venusschuh“, der 1952 veröffentlichte zweite Roman der Autorin. „Venusschuh“ ist ein novellistisch angehauchter Rätselroman mit furiosem Finale. Etwas reißerischer könnte man auch von einem Alpenthriller sprechen. Keinem Krawumm-Thriller allerdings, sondern ein Vertreter ungleich subtilerer Suspence.

Schauplatz der Handlung ist das aus der Realität ins eigentümlich Mysteriöse verfremdete Bergdorf im Wallis. Bis dorthin ist Martin einer verhinderten Selbstmörderin gefolgt. Warum? Man wird es nicht erfahren – und sonderlich wichtig ist es auch nicht. Bille erklärt oder psychologisiert nicht, sie schildert. Fakt ist: Martin bleibt einen Winter lang im Dorf und wird Zeuge zunächst irritierender Eskalation aufgestauten Begehrens. Dass das Drama um die junge Bara, Dorfschönheit von anderswo, sprich: eine Fremde, eine, die sich dem Diktat der duckmäuserischen Anpassung widersetzt, kein gutes Ende nehmen wird, wird schnell klar.

Durch zusehends schärfer umrissene Andeutungen legt Bille eine Fährte in die Katastrophe. Schritt für Schritt folgt man ihr ins Unheil. Trotzdem ist man letztlich vom Ende überrascht. Weniger ob seiner Drastik, sondern wegen seiner mit – sprichwörtlich – ungeheuerlicher Präzision inszenierten Konsequenz. Noch die letzten Naturmetaphern, die man zunächst als etwas arg bedeutungshuberisch abgetan hat, fügen sich am Ende zu einem verstörend stimmigen Gesamtbild zusammen. Einem Bild, das lange nachwirkt.

Roman S. Corinna Bille: Venusschuh. Aus dem Französischen von Hilde und Rolf Fieguth. Rotbuchverlag, 208 Seiten, 19.90 Euro.