Obdachlos in Tirol: Gewöhnung an das Unfassbare
Immer mehr Menschen stehen und leben auf der Straße, immer noch mehr brauchen Hilfe: Lebensrealität in Tirol. Der Verein für Obdachlose zieht Bilanz und bittet um Spenden.
Von Michaela Spirk-Paulmichl
Innsbruck — Schlafende Menschen in windgeschützten Nischen — direkt vor beleuchteten Auslagen. Mitten im Stadtzentrum und gleich neben Menschen, die nach der Arbeit oder mit Weihnachtseinkäufen in der Hand am Christkindlmarkt ihren Glühwein trinken. Obdachlosigkeit, früher oft im Verborgenen, wird sichtbarer und damit immer offensichtlicher. Rufen besorgte Passanten oder auch Geschäftsleute beim Verein für Obdachlose an, kann dieser oft nicht viel ausrichten.
„Die Herbergen in Innsbruck sind das ganze Jahr über belegt, die Notschlafstellen für den Winter voll", sagt Michael Hennermann, Geschäftsführer des Vereins für Obdachlose. Eigentlich nichts Neues — und doch ist etwas anders geworden: Denn mit der Zahl der Menschen, die auf der Straße stehen und dort leben müssen, steige auch die Gewöhnung an das eigentlich „Unfassbare". Und genau das sei die Katastrophe. „Wir jedenfalls weigern uns, diese Situation zu akzeptieren", so Hennermann.
Ein Rückblick auf die Arbeit der Einrichtungen des Vereins in den vergangenen Jahren macht das ganze Ausmaß deutlich: Im Jahr 2010 kamen täglich durchschnittlich 80 Menschen in die Tagesaufenthaltsstätte Teestube in der Kapuzinergasse. Heuer sind es bereits 110. Hauptaufgabe der Teestube ist die Abdeckung der Grundbedürfnisse der Besucher durch Essen, Hygiene, Gesundheit, soziale Kontakte, Wohnen und Arbeit.
Die Streetworker betreuten im vergangenen Jahr 310 Menschen, 2011 waren es noch 233. Und an die Sozialberatung Barwo wandten sich in diesem Jahr bis Anfang November bereits 1134 Hilfesuchende, 2012 waren es insgesamt 775. Viele dieser Menschen gehen einer Beschäftigung nach, doch immer häufiger reichen die Einkünfte nicht aus. Außerdem haben die Mitarbeiter heuer bereits 304 Schlafsäcke verteilt, vor zwei Jahren waren es noch 282. Eine Erhebung des Vereins im Februar dieses Jahres ergab, dass trotz der geöffneten Winternotschlafstelle 120 Menschen auf der Straße standen. Hennermann: „Mit einer so hohen Zahl haben selbst wir nicht gerechnet." So viele Menschen ohne Unterkunft machen Armut für andere sichtbar. Sie machen deutlich, dass es sich nicht mehr nur um ein „Randgruppenproblem" handle — und doch zeigen sie meist nur die Spitze des Eisbergs. Es werden dringend leistbare Wohnungen benötigt — ein großes Problem der heutigen Zeit, das von Armut Betroffene besonders trifft.
Um helfen zu können, ist der Verein für Obdachlose dringend auf Spenden angewiesen. Mit einer Überweisung auf das Spendenkonto bei der BTV können Sie die Arbeit unterstützten: IBAN: AT74 1600 0001 1635 1196, BIC: BTVAAT22