Prozess um Missbrauch in Rotherham - Briten stellen sich dem Skandal
Rotherham (APA/dpa) - Gelingt es der britischen Justiz, Licht in einen düsteren Skandal von Kindesmissbrauch, Vergewaltigung und illegaler Z...
Rotherham (APA/dpa) - Gelingt es der britischen Justiz, Licht in einen düsteren Skandal von Kindesmissbrauch, Vergewaltigung und illegaler Zuhälterei zu bringen? Das Land schaut ab Montag (7.12.) nach Sheffield. Die sechs Männer und zwei Frauen, die dort vor Gericht stehen, sollen die Taten in Rotherham begangen haben.
Rotherham ist die Stadt, die derzeit wie keine zweite in Großbritannien für die sexuelle Ausbeutung von Mädchen steht. Zwischen 1997 und 2013 wurden dort bis zu 1.400 Kinder und Jugendliche Opfer sexueller Gewalt.
Der unabhängige Bericht der Professorin Alexis Jay über die Zustände in der nordenglischen Stadt hat die Briten vergangenes Jahr tief schockiert. Entsprechend groß ist die Aufmerksamkeit für den Prozess, der nun in Sheffield anläuft. Die acht Angeklagten haben bereits alle Vorwürfe abgestritten. Insgesamt sind es 74 Anklagepunkte, 14 Mädchen und junge Frauen sollen sie zwischen den Jahren 1990 und 2003 missbraucht haben.
Zum Beispiel ein etwa 40-Jähriger aus East Cowick, rund 40 Autominuten entfernt von Rotherham: Sechs Vergewaltigungen, zwei Entführungen einer 15-Jährigen, Verabredung zur Vergewaltigung, Freiheitsberaubung, Körperverletzung, dreimal Beihilfe zur Vergewaltigung, zwei Fälle von Zuhälterei - die Liste ist noch länger. Die beiden Frauen, zwischen 40 und Ende 50, sollen sich der Zuhälterei, Beihilfe zur Vergewaltigung und Freiheitsberaubung schuldig gemacht haben.
Der Prozess ist auf acht Wochen angesetzt. Er dürfte Einblick geben in eine Parallelwelt, in der Mädchen, meist aus extrem sozialschwachen Verhältnissen, als Prostituierte missbraucht werden. Der Bericht der Professorin brachte Furchtbares zutage: Elfjährige Kinder wurden mit Schnaps und billigen Geschenken gefügig gemacht, betrunkene Erwachsene fielen dann über sie her. Wenn die Köder nicht reichten, wendeten die Täter Gewalt an. In einem Fall wurde ein Mädchen mit Benzin überschüttet und musste bei einer Vergewaltigung zusehen, um zum Schweigen gebracht zu werden.
Und selbst Rotherham ist nur ein Teil des gigantischen Missbrauchsskandals, der die Briten seit vielen Monaten beschäftigt. Auch die Taten ehemaliger Musik- und Fernsehgrößen wie Jimmy Savile und Gary Glitter gehören dazu, Verbrechen an Heimkindern in vergangenen Jahrzehnten und haarsträubende Vorwürfe gegen allerhöchste gesellschaftliche und politische Kreise, die nicht einmal vor dem Buckingham-Palast haltmachen, auch wenn man dort Anschuldigungen gegen Prinz Andrew (55) empört zurückgewiesen hat.
Die Aufklärung ist, nach äußerst schwierigem Start, inzwischen angelaufen. Nach dem Bericht von Alexis Jay gab es Rücktritte. Nicht nur die Polizei der Grafschaft South Yorkshire, zu deren Beritt Rotherham gehört, hat umfassende Ermittlungen aufgenommen. Ein Ergebnis ist der Prozess, der nun beginnt, weitere dürften folgen. Es gab immer wieder Festnahmen.
Doch die Briten wollen eine noch gründlichere Aufarbeitung: Eine von Innenministerin Theresa May ins Leben gerufene, umfassende und unabhängige Untersuchung soll den Sumpf nachhaltig trockenlegen, quer durch die Jahrzehnte und die Gesellschaftsschichten. Zwölf Bereiche wird diese Untersuchung abdecken, darunter die politische Elite von Westminster, die Kirchen, Heime und Internate sowie systematischer Missbrauch durch organisierte Gruppen, darunter fällt auch Rotherham. Bis zu fünf Jahre könnte das dauern.
Es stünden auch „gewisse Menschen von öffentlicher Bekanntheit“ im Fokus, sagte vergangenen Monat Richterin Lowell Goddard, die der Untersuchung vorsteht. Bezeichnend: Sie ist bereits die dritte Frau an der Spitze des Projekts. Ihre beiden Vorgängerinnen mussten nach kurzer Zeit zurücktreten - beide verkehrten in Kreisen und mit Menschen, die von den Vorwürfen direkt betroffen waren. Jetzt läuft es besser: Lowell Goddard ist Neuseeländerin.