Vor Regionalwahlen

Frankreich im Sicherheitswahn: Angst als Spielball im Wahlkampf?

Wahlkampf in Frankreich: Am Sonntag finden die Regionalwahlen statt.
© AFP/Jeff Pachoud

Die Regierung in Paris fordert eine erneute Verlängerung des Ausnahmezustands. Doch der Protest gegen den Sicherheitswahn wird lauter. Können die Sozialisten bei den Regionalwahlen trotzdem Kapital daraus schlagen?

Von Sabine Glaubitz, dpa

Paris – 551 Stimmen gegen 6: Mit überwältigender Mehrheit billigte die französische Nationalversammlung eine Woche nach den Terroranschlägen in Paris eine Verlängerung des Ausnahmezustandes um drei Monate. Doch nun schlagen viele in Frankreich Alarm. Denn die sozialistische Regierung will die Maßnahme auf sechs Monate ausdehnen und sie in der Verfassung verankern.

Immer mehr Politiker warnen vor einem Missbrauch der aktuellen Situation. Für die Regionalwahlen am kommenden Sonntag könnte der Sicherheitswahn der Regierung für die Sozialisten, denen die rechtsextreme Front National (FN) im Nacken sitzt, jedoch von Nutzen sein.

Renaissance der Marseillaise

Sicherheit, Patriotismus und Identität: Seit der Anschlagsserie vom 13. November mit 130 Toten besetzt Präsident Francois Hollande die Lieblingsthemen der FN. Hollande hatte die Bürger aufgerufen, im Gedenken an die Terror-Opfer die Nationalflagge zu hissen. Auch die umstrittene Nationalhymne kam wieder in Mode.

Die Marseillaise, die Texte enthält wie „Bis unreines Blut unserer Äcker Furchen tränkt“ oder „Euren Söhnen, Euren Gefährtinnen die Kehlen durchzuschneiden“, galt vielen bis vor gar nicht so langer Zeit als zu blutrünstig und rassistisch. Gerade bei den Linken war sie verschrien. Im Mai 2014 erklärte Frankreichs Justizministerin Christiane Taubira, sie wolle bei Gedenkfeiern und Festakten die Hymne nicht mehr mitsingen - und stieß oppositionelle Konservative und die Rechtsextremen vor den Kopf.

Beliebtheit von Hollande steigt

In diesen Tagen scheint die Patriotismuswelle Hollande jedoch mehr zu nutzen als zu Schaden. Laut einer Umfrage des Ifop-Instituts ist die Beliebtheit des Präsidenten auf 50 Prozent angestiegen – ein Sprung von mehr als 20 Punkten. Dabei stieg die Sympathie für Hollande bei den Anhängern der Sozialisten um 24 Punkte, bei den Rechten um 16 Punkte, wie die Studie weiter ergab. Auch die FN legte nach den Anschlägen in Umfragen zu.

Premierminister Manuel Valls gehört zu den größten Sicherheitsfanatikern, Kritiker werfen ihm vor, Angst zu schüren. Der 53-Jährige warnte nach den Anschlägen sogar vor einer Bedrohung mit chemischen und biologischen Waffen und forderte, umgehend den Flüchtlingszustrom zu stoppen. „Wenn wir sagen, dass wir im Krieg sind und es mit keiner punktuellen Terror-Bedrohung zu tun haben, dann müssen wir auch dazu stehen“, lautet seine Devise.

Regierungsvorstoß geht vielen zu weit

Während des Ausnahmezustands haben die französischen Sicherheitsbehörden erweiterte Befugnisse. Dazu gehören die Sperre von Internetseiten, die Auflösung radikaler Moscheevereine und mehr Möglichkeiten, für Verdächtige Hausarrest anzuordnen. Für viele Menschen geht der Vorstoß der Regierung, den Ausnahmezustand nun auf sechs Monate auszudehnen und den Entzug der Staatsangehörigkeit von Terroristen in der Verfassung zu verankern, aber zu weit.

So rief die Front de gauche, die Linksfront, die französischen Staatsbürger zu Wachsamkeit auf, und rief dazu auf, Fälle mutmaßlichen Missbrauchs des Ausnahmezustands zu melden. Bei der ersten Abstimmung zur Verlängerung um 3 Monate hatte die Partei noch zugestimmt. Martin Aubry, Ex-Parteichefin der Sozialisten und heute Bürgermeisterin von Lille, kritisiert vor allem die Pläne, Franzosen nach einer Verurteilung wegen eines Angriffs auf „fundamentale Interessen der Nation“ die Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Dies fordert die rechtsextreme Front National seit 2010.