Das Duell der Hellseher
In Afonso Poyarts Mystery-Thriller „Solace – Die Vorsehung“ sieht sich ein Serienkiller als Sterbehelfer, bis ihm Anthony Hopkins das Handwerk legt.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Wie Robert De Niro 1987 als Louis Cyphre in Alan Parkers „Angel Heart“ mit einer Hand ein Ei schälte, empfahl ihn natürlich für die Rolle Dr. Hannibal Lecters in „Das Schweigen der Lämmer“, doch im Gegensatz zu Luzifer konnte ein überzeugender Serienkiller das Image und die Karriere zerstören oder zumindest in eine unerwünschte Richtung lenken. Die nächsten Verdächtigen für die Kannibalen-Rolle waren Jack Nicholson und Jeremy Irons, deren Agenten wahrscheinlich nur das Drehbuch durchblätterten und neben einem Kochrezept (menschliche Leber mit Chianti – kann man darüber streiten!) nicht gerade viel Dialog für ihre Klienten entdeckten.
Damit kam – sozusagen als vierte Wahl – der Brite Anthony Hopkins ins Spiel, der den Menschenfresser als kultivierten Opernliebhaber gab und mit Zischlauten Angst und Schrecken verbreitete. Die Agenten hatten natürlich Recht, im zwei Stunden dauernden Film von Jonathan Demme war Hannibal the Cannibal nicht einmal 25 Minuten lang zu sehen; doch es war die Hauptrolle, die 1992 mit dem entsprechenden Oscar belohnt wurde und die Hopkins für viel Geld noch zwei Mal in „Hannibal“ (2001) und „Roter Drache“ (2002) wiederholte.
Inspiriert von dieser Serie lieferten 2001 die Autoren Sean Bailey und Ted Griffin ein Drehbuch mit dem Titel „Solace“ (Trost) ab, das auch sofort einen Abnehmer fand und ihre Karrieren in schwindelerregende Höhen befeuerte. Sean Bailey wurde zum Präsidenten der Realfilmabteilung bei Disney, Ted Griffin produzierte zuletzt Martin Scorseses „The Wolf of Wall Street“, doch die Realisierung ihres Thrillers scheiterte mehrmals vor dem Drehstart an der öffentlichen Debatte über – Sterbehilfe.
Dr. John Clancy (Anthony Hopkins) hat schon vor Jahren seinen Dienst als FBI-Psychologe quittiert und sich in ein düsteres Landhaus zurückgezogen, um den Tod seiner Tochter zu betrauern. Trost findet er bei italienischen Opern. Wegen seiner besonderen Fähigkeit, bei geringster Berührung Vergangenheit und Zukunft von Menschen und Dingen zu erfahren, vermeidet er jeden Körperkontakt, was natürlich von gelegentlichen Besuchern als Unhöflichkeit gelesen wird. Dabei schützt sich Clancy nur vor den Filmen im Zeitraffer über einen qualvollen Tod. Das ist auch bei den FBI-Agenten Joe Merriwether (Jeffrey Dean Morgan) und Katherine Cowles (Abbie Cornish) der Fall, die ihn wegen einer Mordserie aufsuchen. Die Ermittler erkennen „die Handschrift“ des Mörders, der seine Opfer in kitschig inszenierten Tableaus zurücklässt, aber keinen Zusammenhang. Diesen Mörder spielt der irische Star Colin Farrell, der sich in einem diskreten Wettstreit um Ruhm und Gage auf einen Kurzauftritt einlässt. Auch sein Charles Ambrose leidet unter dem Fluch des „Sehens“, seine Taten betrachtet der verblendete Moralist als Akte der Gnade, wenn er Menschen von ihrem Leiden befreit, bevor sie das Tal der Schmerzen betreten. Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“ würde er beispielsweise bereits aus Mitleid nach dem 1. Akt mit der Ermordung Mimìs beenden. Aber was ist, erkundigt sich Clancy, mit den noch zu „erwartenden Momenten des Glücks“? Der Mörder weiß nicht viel über das Leben und die Kunst.
Der brasilianische Regisseur Afonso Poyart inszeniert sein US-Kinodebüt mit viel Hokuspokus, wenn es um die Duelle der beiden Hellseher geht, doch wie er seinem Star Anthony Hopkins die autistische Grandezza abringt, sich einem Handschlag zu verweigern, ist schon wieder ein großes Vergnügen.