Friedrich Cerha: „Ich habe Musik gemacht, so wie ich atme“

Wien (APA) - Am 17. Februar feiert mit Friedrich Cerha der Doyen der heimischen Komponisten seinen 90. Geburtstag, wobei das erste Feierkonz...

Wien (APA) - Am 17. Februar feiert mit Friedrich Cerha der Doyen der heimischen Komponisten seinen 90. Geburtstag, wobei das erste Feierkonzert bereits am Mittwoch (27. Jänner) im Wiener Musikverein über die Bühne geht. Die APA sprach mit Cerha aus gegebenem Anlass über Komponieren im Halbschlaf, sein Desinteresse an der Praktikabilität seiner Werke und seine oftmals fehlende Freude an Uraufführungen.

APA: Sie gelten legendär als uneitel und zugleich als Doyen der heimischen Klassik. Können Sie mit derlei Zuschreibungen etwas anfangen?

Friedrich Cerha: Ich habe nie für Heilserwartungen oder Menschheitsbeglückungen gearbeitet. Ich habe Musik gemacht, so wie ich atme - einfach selbstverständlich und ohne Ehrgeiz. Wie man wahrgenommen wird, ist ja auch seltsam: Ich galt bis in meine hohen 50er als junger Komponist, und dann über Nacht plötzlich als Doyen der österreichischen Komponisten.

APA: Sie hätten also auch dann Musik geschrieben, wenn diese nie zur Aufführung gekommen wäre?

Cerha: Ja natürlich - so wie ich auch gemalt habe. Als ich nach 1945 meine eigenen Stücke gegeigt habe, bin ich ein bisschen aufgefallen. Aber von meiner Malerei hat nie jemand etwas mitbekommen bis in die 1980er.

APA: Sie hätten also auch Maler werden können, wenn Sie bereits in den 40ern jemand angesprochen hätte?

Cerha: Das bin ich ja geworden (lacht). Im Forum Frohner in Krems eröffnet am 13. Februar eine Ausstellung mit meinen Werken.

APA: Gehen Sie an eine solche Schau mit der gleichen Freude heran wie an eine Uraufführung?

Cerha: Na ja, ich gehe ja nicht an alle Uraufführungen mit Freude heran. Nicht immer sind die Einstudierungen nach meinem Wunsch, weshalb ich eher mit Sorge in die Uraufführung gehe... Bei den Proben für ein Konzert mit gemischtem Programm werden meist die klassischen Stücke am meisten geprobt.

APA: Ist das immer noch der Regelfall oder hat sich der Klassikbetrieb mittlerweile nicht auch technisch gesteigert?

Cerha: Das Niveau und die Fähigkeit der Musiker ist in den letzten 50 Jahren tatsächlich gewachsen. So sagen etwa die alten Schlagzeuger in den Orchestern selbst, dass die Jungen viel besser sind als sie selbst. Dinge, die vor 50 Jahren noch Schwierigkeiten bereitet haben, sind heute selbstverständlich.

APA: Gibt das Ihnen als Komponist mehr Möglichkeiten?

Cerha: Ich habe eigentlich nie auf die Praktikabilität Rücksicht genommen. Bei meinen ersten großen Arbeiten habe ich nie gedacht, dass ich das jemals hören werde. Ich habe das Ende des Weltkrieges als meine zweite Geburt betrachtet, aber die 50er-Jahre waren dann im Kulturleben die konservativste Zeit. Alles Neue war damals aber im Kunstbetrieb an den Rand gedrängt. Wir jungen Komponisten hatten keine Möglichkeit für Aufführungen.

APA: Ein Gang ins Ausland war unter diesen Bedingungen dennoch nie eine Option?

Cerha: Ich habe 1958 „die reihe“ gegründet, die finanziell lange kämpfen musste. Als ich dann einmal ins Ministerium ging, weil ich um Subvention ansuchen wollte, hat mir der Sektionschef gesagt: Sie sind begabt, gehen Sie doch ins Ausland. An sich hatte ich aber nie vor, wirklich irgendwo anders zu sein als hier. Ich habe mich in Wien immer zu Hause gefühlt. Und mit der „reihe“ hat sich über die Jahre ein aufgeschlossenes Publikum herausgebildet. Das hat sich dann im Klangforum fortgesetzt. Die Konzerte mit neuer Musik sind hier in Wien im Vergleich zu anderen Städten deshalb gut besucht. Aber natürlich ist das nur eine kleine Schicht, die Anteil daran nimmt, was gegenwärtig in der Welt der Musik geschieht.

APA: Wie schreiben Sie Musik: Diszipliniert am Schreibtisch, oder fliegt Ihnen die Inspiration zu?

Cerha: Die meiste Musik kommt am Morgen zu mir - im Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlafen. Das ist die eigentliche Quelle meiner Musik. Das prüfe ich dann natürlich auf seine Verwendbarkeit, wenn ich völlig wach bin. Der Grund, weshalb in den vergangenen 15 Jahren so viele Werke entstanden sind, ist, dass mich morgens kein Wecker mehr stört!

APA: Ein Grund, weshalb Sie lange morgens früh aufstehen mussten, war Ihre Tätigkeit in der Lehre: War das für Sie Berufung oder Notwendigkeit, um Ihr Leben zu finanzieren?

Cerha: Ich habe zu Fragen der Erziehung immer ein ambivalentes Verhältnis gehabt. Als ich in den 50er-Jahren im Gymnasium unterrichten musste, habe ich das nur widerwillig getan, um mein Leben zu fristen - was natürlich nicht bedeutet, dass es mitunter auch einmal Freude gemacht hat.

APA: Mit Beethoven kam die Persönlichkeit des Komponisten ins Werk, was das 20. Jahrhundert teils wieder aufgebrochen hat. Wie intim geprägt sehen Sie hier Ihre eigenen Arbeiten?

Cerha: Das spontane Ausdrucksbedürfnis war immer vorhanden. Früher hat man vom „Spiegel“ als intellektuelles Experiment gesprochen. Das war er aber überhaupt nicht. Der impulsive Ausdruck war mir immer wichtig. Das hat man später besser verstanden.

APA: Ist diese Wiederentdeckung der Emotionalität ein Grund für den Erfolg der zeitgenössischen Musik?

Cerha: Der Verzicht auf jede emotionale Wirkung war vor allem in den 50er- und 60er-Jahren in der Darmstädter Schule vorhanden. Ich habe damals auch serielle Methoden angewendet, allerdings immer nur auf Gruppen von Tönen, was mir eine emotionale Seite der Musik ermöglicht hat. Als ich damals in Darmstadt ein Stück von mir gespielt habe, hat Luigi Nono zu mir gesagt: Du machst mit unseren Mitteln alte Musik.

APA: Die Kritik von damals klingt heute wie ein Kompliment... An welchem großen Projekt arbeiten Sie derzeit?

Cerha: Ich stelle gerade drei Stücke für Streichorchester fertig, in der jeder Spieler seinen eigenen Part hat. Ich habe mir einfach nie die Ökonomie der Arbeit überlegt - das fällt mir jetzt auf den Kopf. 50 Streicherstimmen zu schreiben, ist eine ungeheure Menge an Arbeit!

APA: Haben Sie Angst, gewisse Projekte nicht mehr verwirklichen zu können?

Cerha: Ich hatte lange Zeit in meinem Leben einige Kompositionspläne im Kopf, mit deren Ausführung ich nicht hinterherkam. Ich habe mich jetzt schon fast in der Ausführung meiner Pläne und meiner Fantasie eingeholt.

APA: Nehmen Sie an sich Altersweisheit war?

Cerha: Das zu beurteilen überlasse ich gerne den anderen. Da kann ich persönlich keine Auskunft geben (lacht).

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)