„Unser Mädchen“: Moskau macht mit angeblicher Vergewaltigung Stimmung

Berlin/Moskau (APA/dpa) - Über die Flüchtlingskrise in Deutschland schüttelt der Chef der russischen Migrationsbehörde nur verständnislos de...

Berlin/Moskau (APA/dpa) - Über die Flüchtlingskrise in Deutschland schüttelt der Chef der russischen Migrationsbehörde nur verständnislos den Kopf. „Undenkbar“ sei das in Russland, meint Konstantin Romodanowski: „Wir haben eine Grenze, die von Soldaten prächtig beschützt wird.“ Wenn Deutschland jetzt noch den Familiennachzug erlaube, sei das quasi der Untergang des Abendlandes: „Da kommen pro Flüchtling nicht nur drei, sondern gleich 20 Menschen nach“, meint er.

Romodanowski ist kein Einzelfall. Seit Wochen äußern sich „besorgte Bürger“ in Russlands Staatsmedien über den Zustand des Westens. Auf deutschen Straßen werde nur noch Arabisch gesprochen, ist dort etwa zu hören. Aber die angebliche Vergewaltigung einer russlanddeutschen 13-Jährigen in Berlin sorgt mit Abstand für den größten Wirbel, auch in Deutschland - spätestens, seit der russische Außenminister Sergej Lawrow den deutschen Behörden Versäumnisse vorgeworfen hat.

Ereignisse wie mit „unserem Mädchen“, der Russlanddeutschen aus Berlin-Marzahn, dürften sich nicht wiederholen, mahnt Lawrow bei einer im Fernsehen übertragenen internationalen Pressekonferenz. Gefragt wurde er zu dem Fall übrigens nicht direkt. Gerade deshalb birgt Lawrows ungewöhnliche Kommentar diplomatische Brisanz - sonst nämlich verbittet sich Russlands Chefdiplomat seinerseits vehement eine Einmischung in innere Angelegenheiten.

Die deutsche Bundesregierung reagiert prompt. Es verbiete sich, „diesen Vorfall politisch zu instrumentalisieren“, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. Und der Sprecher des Außenministeriums, Martin Schäfer, kommentiert die Berichte des russischen Fernsehens mit den Worten, langfristig gelte der Grundsatz „Lügen haben kurze Beine“.

Aus russischer Sicht ist der Fall klar. Die 13-Jährige sei in Berlin von Migranten entführt, stundenlang vergewaltigt worden - und die deutschen Behörden täten nicht genug, um den Fall zu klären, heißt es in den Staatsmedien. Wie einen Helden feiert das Moskauer Boulevardblatt „Komsomolskaja Prawda“ daher Lawrow für seine offenen Worte.

Beobachter in Russland vermuten, dass sich die Propagandamaschinerie die Flüchtlingskrise zu Nutzen machen soll, um Unruhe in Deutschland zu stiften. Gerade die große russischsprachige Minderheit, die über Satellit und Internet russische Nachrichten verfolgt, soll sich demnach dafür gut eignen. Bereits am Wochenende demonstrierten Tausende Russlanddeutsche gegen angebliche „Gewalt durch Migranten“.

Der kremlkritische Journalist Oleg Kaschin ist überzeugt, dass das Mädchen in Berlin nichts als ein Propagandainstrument für Russland ist. Die Logik der Führung in Moskau geht demnach so: „Wir haben bewiesen, dass begründete Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Berliner Polizei bestehen - und das bedeutet, dass es auch Gründe gibt, an anderen Dingen zu zweifeln“, erklärt Kaschin.

Zwar betont Lawrow das gute Verhältnis zur Bundesregierung. Doch allen ist klar: Die westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise haben die Stimmung zwischen Moskau und Berlin vergiftet.

Russland würde die Strafmaßnahmen gerne abschütteln, um seine wegen des niedrigen Ölpreises darniederliegende Wirtschaft anzuschieben. Besonders die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gilt aber in Moskau als Verfechterin des „Sanktionsjochs“. Kremlchef Wladimir Putin nutzt seit Monaten jede Chance, um Merkel-Kritikern eine Bühne zu geben. Schon kommende Woche empfängt das Staatsoberhaupt einen von Merkels schärfsten Widersachern: Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer.

Sägt Putin gar an Merkels Stuhl? Die Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta“ schrieb schon kurz nach den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln von einem möglichen „Anfang vom Ende“ der Kanzlerin.

An der Glaubwürdigkeit der Vergewaltigungsberichte zweifelt indes auch das regierungskritische russische Magazin „The New Times“. „Woher haben erst kürzlich angekommene Flüchtlinge aus dem Nahen Osten zum Beispiel ein Auto und einen Führerschein sowie eine Wohnung? Das ist alles ausgeschlossen“, meint das Moskauer Blatt.

Wenn die Staatsmedien solche Lügen in Russland verbreiteten, sei das eine Sache. Sie in einem anderen Land zu verbreiten, in dem Lügen noch nicht als normal angesehen würden, sondern als unanständig und beleidigend, sei aber etwas völlig anderes, kritisiert „New Times“.