Akademietheater

Gefangen in der Gewaltspirale

Nicholas Ofczarek als "Johnson" und Andrea Clausen als "Maureen" in John Hopkins’ Stück "Diese Geschichte von Ihnen".
© APA/Techt

Andrea Breth gelingt am Akademietheater mit ihrer Inszenierung von John Hopkins’ „Diese Geschichte von Ihnen“ eine beklemmende Psychostudie in Starbesetzung.

Von Bernadette Lietzow

Wien –Das mehrfach beschworene Sich-Zusammenreißen, die „stiff upper lip“ und die paar Gläser Whisky, alle diese Zutaten einer speziell britischen Selbstbeherrschung scheinen lächerlich angesichts der Gewalt und Gegengewalt, den psychischen Untiefen und der elenden inneren Isolation, die der 1998 verstorbene englische Theater- und Drehbuchautor John Hopkins seinen Figuren eingeschrieben hat. Es adressiert sich an (uns) alle, dieses 1968 veröffentliche Bühnenstück „Diese Geschichte von Ihnen“, das sich in drei Bildern, drei großen Dialogen exzessiv der Frage nach dem kulturell bedingt versteckten Gewaltpotenzial des Menschen und dem heiklen Punkt der Grenzüberschreitung widmet.

Kaum ein Theater im deutschen Sprachraum hat sich an den Stoff gewagt. Verwunderlich angesichts der mit Begeisterung aufgenommenen Premiere am Donnerstag im Akademietheater. Möglicherweise kann man das Stück aber nur mit der analytischen Entschlossenheit, mit der Andrea Breth an ihre Theaterarbeiten, an die von ihr gewählten Theatertexte herangeht, in der geforderten glasklaren Abgründigkeit einem Publikum näherbringen. Zentrale Gestalt des Stücks ist Detektive-Sergeant Johnson, der während eines Verhörs einen mutmaßlichen Kinderschänder erschlägt. In den drei Sequenzen des Stücks, die, den Gedanken des Autors bezüglich einer musikalischen Grundstruktur folgend, möglicherweise Sätzen einer Symphonie entsprechen, trifft Johnson nach der Tat nächtens auf seine Frau, darauf in einer internen Untersuchung auf seinen Vorgesetzten und im dritten Teil, in einer Art Rückblende auf das eigentliche Geschehen, passiert die Konfrontation mit dem vermeintlichen Täter.

Getragen wird der Abend von großen Schauspielern, zuallererst Nicholas Ofczarek, der als Sergeant Johnson über drei Stunden Beeindruckendes leistet. Betrunken stolpert er in die von Bühnenbildner Martin Zehetgruber bis an die Schmerzgrenze genau gebaute, mit kleinbürgerlichem Inventar angeräumte häusliche Hölle, in die bald Ehefrau Maureen gleichsam einsickert. Andrea Clausen, bewehrt mit Lockenwickler und Morgenmantel, verkörpert mit großer Intensität die unglückliche Frau, deren Entsetzen über den Zustand des stummen Nebeneinanders in der Beziehung jenes über das Verbrechen des Gatten überstrahlt. Sie kann ihrem Mann in seiner Seelennot, in die ihn das tagtägliche Grauen seines Berufes gestürzt hat, nicht beistehen. Zu weit haben sie sich voneinander entfernt, allein körperliche Gewalt scheint eine traurige Form von Nähe zu bewirken. Chief Inspektor Cartwright, in Roland Kochs überzeugender Interpretation ebenso anmaßend wie vielschichtig, erkennt die von Angst und Selbstmitleid gespeiste Gefährlichkeit Johnsons, die Ofczarek beängstigend bis in kleinste Gesten abbildet.

Im kahlen, wie in einem nie enden wollenden Umbau befindlichen Verhörraum geraten schließlich Johnson und Kenneth Baxter, der des mehrfachen schweren Kindesmissbrauchs Angeklagte, aufeinander: Ofczarek trifft auf August Diehl, ganz in zerrissen-schmutzigem Business-Blau (Kostüme: Moidele Bickel). In dem Zusammenspiel der beiden sowohl körperlich als auch in der Art des Spielens so unterschiedlichen Bühnenstars entfaltet sich noch einmal die enorme Kraft von Andrea Breths Inszenierung: Auf allen Ebenen provozieren sich da in nahezu unerträglicher Dichte zwei Seelenverwandte. Beide wissen um Abgründe des anderen, entblößen sich voreinander, sind sich ihrer sexuellen Gewaltfantasien sicher, bis einer einen Schlussstrich zieht. Mit einem leisen, grauenvollen Knacks opfert Johnson seinen Gegner auf dem Altar seiner tiefen Verzweiflung. Ovationen für alle Beteiligten und mit Sicherheit ein langer Widerhall in den Gedanken der Zuschauer.

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