Kunst

Jeder Ton wie ein Atemhauch

© Susan Philipsz/Kunsthaus Bregen

So klang der Holocaust ganz sicher nicht, aber er hallt grausig nach: die schottische Künstlerin Susan Philipsz im Kunsthaus Bregenz.

Von Ivona Jelcic

Bregenz –Zu sehen ist nicht viel. Und das entspricht in erschreckender Weise dem Prinzip jener „Nacht- und Nebelaktionen“, für die die Nazis sowohl den Begriff als auch die Vorgehensweise vorgegeben haben. Der „Nacht- und Nebelerlass“ nämlich war ein 1941 von Hitler persönlich verordneter, demzufolge Menschen, hauptsächlich Widerstandskämpfer aus den besetzten Gebieten, von der Zivilbevölkerung unbemerkt verschleppt und hingerichtet oder in Konzentrationslager gebracht werden sollten. „NN“ wurde diesen „Verschwundenen“ sogar als Zeichen aufgemalt – eine eigene Kategorie unter den Verbrechen des Nazi-Regimes.

„Nacht und Nebel“ nannte denn auch Alain Resnais seinen 1955 entstandenen, ersten maßgeblichen Dokumentarfilm über den Holocaust. „Ein Feld, über das Raben fliegen“, könne zum Konzentrationslager werden, heißt es darin, „eine Straße für Fuhrwerke, Bauern und Liebespaare, auch ein kleiner Ferienort mit Jahrmarkt und Kirchturm kann zu einem Konzentrationslager hinführen“. „Nuit et brouillard“, so der Originaltitel, ist im Untergeschoß des Kunsthauses Bregenz zu sehen – er ist so etwas wie das Unterfutter für Susan Philipsz’ das gesamte Gebäude bespielende Sound-Installation mit dem Titel „Night and Fog“. Die 1965 in Glasgow geborene Künstlerin wurde unter anderem mit der Arbeit „Lowlands“ international bekannt: Eine Ballade aus dem 16. Jahrhundert bildete die Grundlage für die unter drei Brücken in Glasgow realisierte Sound-Installation. Auch schon vorher beschäftigte sie sich mit dem aus Österreich stammenden Komponisten Hanns Eisler, dessen Filmmusik für Resnais’ „Nuit et brouillard“ auch hier im Zentrum steht. Philipsz hat Eislers Musik in die einzelnen Stimmen verschiedener Instrumente, im Speziellen der Blasinstrumente zerlegt und lässt sie voneinander isoliert in den verschiedenen Stockwerken des archaischen Zumthor-Baus abspielen, der so zum begehbaren Klangkörper wird. Gerade das Fragmenthafte entwickelt darin eine ungeheure Präsenz und Klarheit – auch in Verbindung mit der Fluchtgeschichte des Komponisten Eisler: Die Filmmusik für Resnais komponierte der 1898 geborene Schönberg-Schüler nach seiner Rückkehr aus dem Exil in den Vereinigten Staaten. Philipsz hat seine Partitur- und Manuskript-Blätter mit Akten aus jenem Dossier überlagert, die das FBI wegen des Verdachts „antiamerikanischer Umtriebe“ und seiner kommunistischen Überzeugung angelegt hatte – gerade wegen Letzterer musste der spätere Komponist der DDR-Hymne 1933 aus Deutschland fliehen.

Die Überlagerung verschiedener Ebenen setzt sich im Kunsthaus akustisch fort, wenn die einzelnen musikalischen Stimmen über die verschiedenen Ebenen des Gebäudes wieder zueinanderfinden, sich in die Lücke der einen der Ton einer anderen einfügt. Ebenfalls zu sehen sind die von Philipsz fotografierten „War Damaged Musical Instruments“, gefunden nach 1945 in Berlin und dort archiviert. Fotografien, auf denen der Atemhauch der Künstlerin gerade beim Verblassen ist, bilden visuelle Bindeglieder im Treppenhaus.

„Night and Fog“ markiert auch den gelungenen Einstand des neuen Kunsthaus-Direktors Thomas D. Trummer. Und setzt sich in Hohenems fort: In Kooperation mit dem Jüdischen Museum Hohenems entstand auf dem Jüdischen Friedhof am Waldesrand eine weitere, stimmungsvolle Station, an der die Flöte spielt.

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