Flüchtlingslager Calais - Radio und Theater mitten im „Dschungel“

Calais (APA/AFP) - Im Herzen des Flüchtlingslagers von Calais dringt leise eine Coverversion von Leonard Cohens „Hallelujah“ aus einer verfa...

Calais (APA/AFP) - Im Herzen des Flüchtlingslagers von Calais dringt leise eine Coverversion von Leonard Cohens „Hallelujah“ aus einer verfallenen Holzhütte. Dort hat Jungala Radio seinen Sitz - Flüchtlinge und Helfer haben die Radiostation mit einfachsten Mitteln aufgebaut.

Die Sendungen geben den Menschen in dem Lager im äußersten Norden Frankreichs nicht nur eine Stimme, sie helfen ihnen auch in ihrem täglichen Kampf gegen die Trostlosigkeit in diesen kalten Jänner-Tagen. Das Lager wird auch „Dschungel“ genannt. Hier leben mehr als 4.000 Flüchtlinge in Schmutz und Kälte - und in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Großbritannien oder auch in Frankreich selbst. Viele Schutzsuchende sind seit Monaten hier. Es herrschen erbärmliche Lebensbedingungen und alltägliche Langeweile. Da ist den Menschen jede Ablenkung recht.

Hashemi, ein etwa 20-jähriger Syrer, hat gerade seine erste Musiksendung bei Jungala Radio, er füllt sie mit Liedern von Sängern und Musikern aus dem Camp. „Ich versuche, die Stimme und die Gefühle der Flüchtlinge einzufangen“, sagt er. „Ich möchte das, was hier passiert, mit der ganzen Welt teilen.“ Über Facebook und die Plattform Soundcloud hatte das Radio am Neujahrstag zum ersten Mal gesendet.

Derzeit baut das Team ein kleines Netzwerk an Produzenten und Journalisten aus der Lagergemeinde auf. Einer von ihnen ist ein 15-jähriger irakischer Kurde, der mit einem Aufnahmegerät, das Jungala Radio über eine Spendenkampagne finanziert hat, auf Stimmenfang geht. „Ich mag es, neue Dinge zu lernen, aber das hier ist schon schwierig“, sagt er ein wenig schüchtern. „Wenn ich Menschen Fragen stellen muss, bringt mich das in Verlegenheit.“

Der Jugendliche ist seit drei Monaten in Calais und will wie so viele Flüchtlinge weiter nach Großbritannien. „Aber es ist sehr schwer und wir müssen etwas tun, während wir warten.“ Englisch hat er sich noch in Kurdistan beigebracht, dort hat er immer mit seinem älteren Bruder Harry-Potter-Filme und amerikanische Actionstreifen geschaut.

Für die Flüchtlinge in Calais gibt es mittlerweile so etwas wie eine soziale Infrastruktur: Geschäfte, Bars, sogar einen Barbier und einen Nachtclub. Neben der Bibliothek des „Dschungels“ bringt eine Helferin einer Gruppe von Afghanen und Sudanesen ein paar Brocken Französisch bei - einige scheinen es auch in Frankreich versuchen zu wollen. Gerade erklärt sie die Bedeutung von „Bienvenue“, Willkommen, ein Wort, das die Flüchtlinge in Frankreich noch nicht oft gehört haben.

Auf der anderen Seite des Lagers steht ein junger Afghane auf der Bühne des Good Chance Theaters und tanzt. Ein britischer Künstler, der gerade zu Besuch ist, begleitet ihn auf der Gitarre. Das Theater gibt es seit ein paar Monaten, hier zeigten und lehrten schon Zirkusleute aus Eritrea ihre Kunststücke und ein Iraner gab Kung-Fu-Unterricht. Für die psychische Verfassung der Menschen in dem Lager ist dies enorm wichtig.

Zurück bei Jungala Radio legt Hashemi letzte Hand an seine Musiksendung. Hilfe bekommt er von dem 22-jährigen Medienexperten Ciaran, der beim Aufbau der Station geholfen hat. Er sei für die technische Unterstützung und für Anregungen da, sagt er, mehr nicht. „Wir möchten, dass die Menschen hier das Radio selbst in die Hand nehmen.“

Hashemi macht das und er mag seine neue Aufgabe. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich eines Tages einmal Radio machen würde“, sagt er. „Aber nun hoffe ich, dass ich noch mehr davon machen kann.“