„Boom Bodies“: Doris Uhlichs energiegeladene Angstbewältigung im TQW

Wien (APA) - Doris Uhlich ist ein Faszinosum: Auch wenn die österreichische Tänzerin nicht selbst auf der Bühne steht, sieht man sie in von ...

Wien (APA) - Doris Uhlich ist ein Faszinosum: Auch wenn die österreichische Tänzerin nicht selbst auf der Bühne steht, sieht man sie in von ihr choreografierten Performances förmlich vor sich und spürt ihre sprudelnde Energie. Auch „Boom Bodies“, das am Donnerstag im Tanzquartier Wien Premiere hatte, strotzt nur so vor Uhlich‘scher Energie, Verrücktheit und Intensität und verlangt Tänzern und Zusehern viel ab.

Wer die gebürtige Oberösterreicherin kennt, der weiß um ihre Liebe für den (oft nackten) Körper und das schwingende „Fleisch“, aus der sie ihre legendäre Fetttanztechnik entwickelt und u.a. die berühmte Ensembleperformance „more than naked“ gespeist hat. Ausgangspunkt für ihre neueste Choreografie ist die Frage, wie sich die von Grenzen und Angst dominierte Gegenwart in unseren Körpern und Bewegungen „einschreibt“, wie sich unser Verhalten und unser Denken nach etwa Attentaten ändert und mit welcher Technik man dagegen antanzen kann. „Ich glaube, man kann physischer Zudringlichkeit am besten physisch etwas entgegensetzen“, meinte Uhlich etwa über die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht in Köln im „Falter“.

Der „Angstraum“, in dem wir uns bewegen, das ist zu Beginn das riesige, gespannte Netz aus Gummiseilen mit Schlaufen an den Seiten, in die die acht Tänzer einzeln schlüpfen. Mit Einsatz wummernder Technobeats setzen sie sich als zusammenhängendes Oktagon in Bewegung, läuft jeder für sich gegen den Widerstand der Seile an, wird zurück oder auch mal gegen den Nachbarn geschleudert. Sind sie dem Netz erstmal entstiegen, scheint jeder für sich, lose verteilt auf dem Boden der kargen Bühne hockend, mit DJ im Rücken und Lautsprecherboxen an den Seiten.

Nur kurz scheinen die Tänzer regungslos, ehe sie, als würden sie gegen die Starre aufbegehren, einzelne Körperteile ruckartig im Beat in die Luft strecken - erst Hüfte, dann Gesäß, später den Fuß. Die folgenden 60 Minuten wird kaum ein Teil ihrer Körper je still stehen, werden Aktionen so abrupt aufhören, wie sie aufkommen, und zur nächsten überleiten. Im Rhythmus scheinen den Tänzern alle paar Sekunden neue Bewegungen einzufahren, wobei einer die Bewegung vorgibt und die anderen sieben einsetzen - jeder in seinem Stil, aber alle im Beat. Kollektiv und doch jeder individuell für sich springen sie also, kicken in die Luft, schieben sich mit einem Bein über den Boden, wackeln und zittern mit dem ganzen Körper, dass man fürchtet, ihnen würde schwindelig, und reißen ihre Arme auseinander und kreisen sie, sodass man meint, ihre Schultern würden jeden Moment auskugeln.

Mit einer kurzen Ausnahme berühren sich die fünf Männer und drei Frauen aus Israel, Polen, Litauen, Frankreich, Griechenland und Finnland nicht, interagieren nie direkt miteinander. Was sie verbindet ist nur der Raum, in dem sie sich alle bewegen. Umso wirkungsvoller ist es, wenn sie sich zu einer Menschentraube zusammenrotten und ihnen das Scheinwerferlicht durch den Raum folgt - als wäre der Nachtclub da, wo sie gerade sind. Gegen Ende lösen sie sich voneinander, nehmen von der Rückseite der Bühne Anlauf und springen dem Publikum in der ausverkauften Halle G entgegen, bremsen kurz vor den Sitzreihen ab und schleudern die unsichtbare Energie mit empor gestreckten Armen und abgewinkelten Händen den Besuchern entgegen.

Die lähmende Angst, die ist im Laufe der 70 Minuten gänzlich verflogen, und die Energie, die hat dabei zweifellos den ganzen Raum erfüllt - wenn sie diesen im letzten Drittel leider auch langsam wieder zu verlassen schien. Dann nämlich war der erste Reiz verloren, und zeigten manch Zuseher erste Ermüdungserscheinungen; zu sehr strapazierte der Bass Trommelfell und vibrierenden Brustkorb gleichermaßen. Beim begeisterten Schlussapplaus aber überwog die ungemeine Hochachtung vor den Tänzern, denen Uhlich jede Menge Ausdauer, Kraft und Körperspannung abverlangt. Die sich verbeugende Choreografin ist dann die einzige, die noch Energie hat, um zu tanzen.

(S E R V I C E - „Boom Bodies“ im Tanzquartier Wien, Halle G. Choreografie: Doris Uhlich, Dramaturgie: Heike Albrecht, DJ: Boris Kopeinig, Licht: Bruno Pocheron, Tänzer: Eyal Bromberg, Ewa Dziarnowska, Christina Gazi, Hugo Le Brigand, Andrius Mulokas, Yali Rivlin, Roni Sagi, Anna Virkkunen. Weitere Termine: 29. und 30. Jänner, 19.30 Uhr. www.tqw.at, www.dorisuhlich.at)