Videoporträt

Wo ein Wille, da ein Trail: Tiroler Mountainbiker trotzt Behinderung

© Christopher Kniejski

Mario Wurzenrainer fehlen von Geburt an Teile beider Füße und vier Finger einer Hand. Trotz oder gerade wegen der Behinderung hat der Tiroler den Weg zum Mountainbiken gefunden. Durch ein berührendes Video bekommt sein Schicksal viel Aufmerksamkeit.

Von Simon Hackspiel

„Ich hätte mir nie gedacht, dass das solche Wellen schlägt,“ sagt Mario Wurzenrainer beim TT-Interview in einem Café in Völs. „Dadurch ist mir erst so richtig klar geworden, dass das was ich mache nicht selbstverständlich ist.“ Der 35-jährige Telfer spricht von einem Videoporträt über sich, das seit Mitte November im Internet zu sehen ist. Rund 23.000 Mal wurde das von Schnittbilder (siehe Infobox) produzierte Video bereits angeklickt, die Resonanz in den sozialen Netzwerken ist entsprechend groß.

Die vielen anerkennenden Kommentare darüber, wie er sein Leben und insbesondere das Mountainbiken trotz Behinderung meistert, haben Mario deutlich gemacht, wie sehr seine Leidenschaft eine Inspiration für andere Menschen sein kann: „Ich hoffe, dass ich Leute dazu anrege, das auszuprobieren, was sie immer schon mal machen wollten. Weil nur durch´s Herumreden findet man nicht heraus, ob man etwas schafft oder nicht.“

„Meine Kindheit war oft eine harte Zeit“

Willenskraft, Durchhaltevermögen und Disziplin waren für Mario schon immer essenziell. Von klein auf musste er viele Dinge deutlich mühevoller erlernen als die anderen Kinder. Mario kam mit einer Extremitätenanomalie - genannt Amnion-Schnürfurchen - zur Welt, weil ihm im Mutterleib Teile beider Füße und die Finger der linken Hand von im Fruchtwasser schwimmenden Eiweißfäden abgeschnürt wurden. „Meine Kindheit war oft eine harte Zeit für mich und meine Mutter“, erinnert er sich. „Als ich die ersten Prothesen bekommen habe, war die Technik nicht so weit wie heute.“ Während er heranwuchs, mussten die Prothesen immer wieder ausgetauscht werden, oft wurden sie dennoch zu eng und schmerzten. Weil seine alleinerziehende Mutter nicht mehr ohne Hilfe mit der Situation fertig wurde, erlebte Mario einen großen Teil seiner Kindheit im SOS-Kinderdorf in Telfs.

Heute unterscheidet sich der Gang von Mario, der in der Buchhaltung einer Tiroler Handelskette arbeitet, auf den ersten Blick kaum noch von dem eines Menschen mit gesunden Beinen. Über weite Distanzen oder beim Abwärtsgehen tut er sich trotzdem schwer, was ihn letztlich auch vom Wandern zum Mountainbiken brachte. „Auf dem Bike erlebe ich das ultimative Freiheitsgefühl. Ich kann sporteln und die Natur genießen, ohne eingeschränkt zu sein.“ Schon in der Jugendzeit unternahm er kleinere Touren mit einem Freund, so richtig gepackt hat ihn das Mountainbike-Fieber aber erst vor rund drei Jahren.

Interview-Anfrage vom Bike-Magazin

Von Frühling bis Herbst erkundet der Naturliebhaber seither „mindestens zwei Mal pro Woche“ die Wälder in der Umgebung von Telfs. Vor allem das Mieminger Plateau hat es ihm angetan. „Das Entdecken neuer Trails macht diesen Sport so interessant, oft zweige ich spontan auf mir unbekannte Wege ab und lass‘ mich überraschen.“ Besonders herausfordernd sind für ihn Abfahrten auf ruppigem Untergrund. Aufgrund seiner fehlenden Finger verlangt es höchste Konzentration, gleichzeitig zu bremsen und den Lenker stabil zu halten. Spezielle technische Vorrichtungen verwendet er nicht.

Das Videoporträt vermittelt einerseits das Freiheitsgefühl, das Mario auf seinen Touren erlebt, zeigt ihn aber auch im privaten Umfeld. Mit Bedacht gewählte Bilder und die ehrlichen Worte Marios und seiner Freundin gehen unter die Haut. Bei den Tausenden Zugriffen auf das Video, welches vor allem über Facebook verbreitet wurde, stammen wohl auch einige von Redakteuren des renommierten Branchenmagazins Bike. Denn Ende 2015 wurde Mario von einer Interview-Anfrage der Zeitschrift überrascht. „Zufällig hat mir meine Freundin kurz zuvor ein Abo des Magazins geschenkt. Jetzt kann ich bald eine Geschichte über mich selbst darin lesen. Schon ziemlich cool eigentlich“, sagt er mit einem Lächeln, das sowohl Bescheidenheit als auch Stolz ausdrückt. Das Video und die plötzliche Aufmerksamkeit, die er dadurch erfährt, haben Marios Blick auf sich selbst wieder geschärft. Denn seine Behinderung und auch das Mountainbiken sind für ihn seit Langem Normalität.

Genießen statt Wettkampfgedanken

Auf seinen Touren begleitet wird Mario häufig von seiner Lebensgefährtin oder guten Freunden, die ihm sowohl beim Biken als auch im Alltag großen Rückhalt geben. Schon immer sei er ein Familienmensch gewesen, der Wunsch nach Kindern ist für ihn und seine Freundin jedoch ein komplexes Thema. Denn auch genetische Faktoren könnten bei seiner Behinderung mitwirken. „Ich habe selbst mitbekommen, wie schwer es meine Mutter und dann auch meine SOS-Kinderdorfmutter mit der Situation hatten. Ein körperlich eingeschränktes Kind bedeutet eine enorme Verantwortung.“ Umso größer ist sein Respekt vor Menschen, die Situationen meistern, die noch viel schwieriger seien als die seine.

„Zutiefst dankbar“ ist er deshalb dafür, dass er seine Sportbegeisterung trotz Behinderung ausleben kann. Für ihn steht die Freude an einer guten Tour sowie das Naturerlebnis im Vordergrund und niemals der Wettkampfgedanke. Eines Tages will er mit dem Bike durch die weite Wildnis Kanadas fahren. Und da für Mario „aufgeben selten eine Option“ ist, wird er sich diesen Traum wohl auch erfüllen. Sein Motto lautet: Wo ein Wille, da ein Trail.

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